Schon im Jänner 1911 hatten die Mutterer sich an die Agrarbehörde gewandt, weil die Mutterer Alm als Agrargemeinschaft reguliert werden sollte. Das Verfahren wurde 1924 abgeschlossen. Im Oktober 1930 wurde die Regulierung des Gemeinschaftswaldes eingeleitet. Nach 20-jähriger Verfah­rensdauer setzte das Bezirksgericht Innsbruck im Jahr 1950 den letzten Akt. Alle Instanzen – vom Gemeinderat bis zum Oberlandesgericht, vom Bezirksgericht bis zur Landesregierung – hatten auf Eigentum der Agrargemeinschaft entschieden. Die Ortsgemeinde war nirgends mitbeteiligt, insbesondere nicht an den Walderträgnissen. Heute soll alles anders sein?

Der Name der Nachbarschaft Mutters ist urkundlich erstmals nachgewiesen in einer Besitzbeschreibung des Benediktinerklosters Ebersberg, Diözese Freising in Bayern. Die Entstehung dieser Urkunde wird auf den Anfang des 12. Jahrhunderts datiert. In Mutters besaß das Kloster zwei zehntpflichtige Höfe. Die Sprachwissenschaftler gehen davon aus, dass der Name Mutters vorrömischen Ursprungs ist und sich von „mutra“ (= Bergkuppe) herleitet.

ABT VON WILTEN ALS SCHIEDSRICHTER

Im Pfarrarchiv von Mutters wird eine große Anzahl von Urkunden verwahrt, die ein Bild davon geben, was die Gemüter der Nachbarn bewegte: Weide und Holznutzung. Eine der ältesten Urkunden enthält den durch Egloff von Wiesenbach am 4. Mai 1398 gesiegelten Vergleich der Nachbarn zu Natters, Mutters und Nock mit den Götznern auf der Gegenseite; verhandelt wurde wegen der „Weide und Holzung“ auf „gemeinländern zwischen wazzern“. Die prominenteste Besetzung findet sich bei einem Schiedsgericht, das am 19. Mai 1434 den Streit der Nachbarn von Mutters und Natters wegen des Grünseit-Waldes entschieden hat: Den Vorsitz führte Abt Johannes von Wilten höchstpersönlich. Als Beisitzer fungierten Bürger von Ampass, Innsbruck, Götzens, Axams und aus dem Stubaital. Gesiegelt wurde der Schiedsspruch von Ulrich Saurwein, damals Landrichter zu Sonnenburg.

Über die Jahrhunderte wurden in diversen Rechtsakten die Ausdehnung und die Grenzen der jeweiligen Nachbarschaftsgebiete verfestigt. Mit dem Ende des feudalen Obereigentums der kirchlichen und weltlichen Herren Mitte des 19. Jh. wurde aus dem Nutzungseigentum ein Volleigentum, entweder als Alleineigentum oder als gemeinschaftliches Eigentum der ganzen Nachbarschaft. In Mutters sind gleich zwei Eigentumsgemeinschaften entstanden: Die eine wurde bei der Grundbuchanlegung im Jahr 1898 als „Nachbarschaft Raitis“ erfasst, die andere als „Gemeinde Mutters ohne Raitis“. Zum Hintergrund muss man wissen, dass in Tirol ein Gesetz zur Teilung und Regulierung von Agrargemeinschaften erst im Jahr 1909 in Kraft getreten ist. Im Jahr 1898, als diese Grundbucheintragungen entstanden sind, hat diese Organisationsform rechtlich in Tirol gar nicht existiert. Wie die Tiroler Landesregierung Anfang der 1980er Jahre festgestellt hat, sind die Grundbuchanlegungsbeamten deshalb bei solchen Liegenschaften sehr uneinheitlich vorgegangen. Einmal wurde die Gemeinde, dann wieder eine Nachbarschaft, eine Fraktion, eine Interessentschaft, die Katastralgemeinde oder die Berechtigten als Miteigentümer eingetragen.

DAS NACHBARSCHAFTSEIGENTUM

Die Mutterer wussten allerdings genau, welche Bewandtnis es um das Gemeinschaftsgut hatte. Als der Eigentümer des „Klampererhofes“ im Sommer 1909 um Anerkennung eines Holzrechtes ersuchte, entschied der Gemeinderat, dass nur die Besitzer der „alten Feuerstätten“ am Gemeinschaftsbesitz beteiligt seien. Der „Klampererhof“ zähle nicht dazu. Über die Verwaltung des Gemeinschaftsbesitzes gibt ein Dokument der Agrarbezirksbehörde vom 11. Oktober 1921 Auskunft: Seit jeher hatten in der Gemeinde Mutters zwei ganz getrennte Kassen und zwei getrennte Verrechnungssysteme bestanden: „Kasse I“ für die Vermögensgebarung und Verrechnung der politischen Gemeinde Mutters und „Kasse II“ für die Vermögensgebarung und Verrechnung der „Gemeinde Mutters ohne Raitis“, worunter die Gesamtheit der alten Stammsitze von Mutters verstanden wurde, 52 an der Zahl.

Die Errichtung der Agrargemeinschaft Mutters verlief in drei Phasen: Schon am 4. Juni 1910 hatten der Gemeinde-Vorsteher Johann Grubinger und drei weitere Gemeinderäte in Innsbruck beim k. k. Lokal-Kommissär für agrarische Operationen Dr. Pirker Erkundigungen wegen einer Regulierung für die Mutterer Alpe eingezogen; am 27. Jänner 1911 wurde die agrarische Operation förmlich beantragt. Vorausgegangen war dem ein Beschluss des Gemeinde-Ausschusses (= heute Gemeinderat), den die Tiroler Landesregierung zu bestätigen hatte. Die förmliche Verfahrenseröffnung oblag der k. k. Landeskommission für agrarische Operationen, die mit Erkenntnis vom 3. April 1911 in „Starbesetzung“ auf Verfahrenseinleitung entschieden hatte: Den Vorsitz führte Seine Exzellenz Markus Freiherr von Spiegelfeld, Beisitzer waren die drei k. k. Oberlandesgerichtsräte Eudard Lorenzoni, Anton Müller und Dr. Karl Schandl, als Landesausschussbeisitzer fungierte Dr. Paul Freiherr von Sternbach und als Referent k. k. Hofrat Adolf Freiherr von Rungg.

Als erste Maßnahme hatte der k. k. Lokal-Kommissär die Grenzen und die näheren Verhältnisse der Mutterer Alpe zu erheben; dies ist am 3. Juni 1913 geschehen. Eine Grenzstreitigkeit mit der Nachbarschaft Raitis wurde in einer gesonderten Verhandlung am 16. Juli 1913 beigelegt. Mit Bescheid vom 25. Juni 1914 wurden die zur Agrargemeinschaft Mutterer Alpe gehörenden Grundstücke förmlich festgestellt. Festgestellt wurden darüber hinaus jene 52 alten Hofliegenschaften, deren Gutsbestand ein Anteilrecht an dieser Alpe mitumfasste. Bei den Erträgen der Gemeinschaftsalpe erwähnt der Bescheid ausdrücklich den Pachtschilling, der für die Ausübung des Gast- und Schankgewerbes in der Sennhütte bezahlt wird. Offensichtlich war die Mutterer Alpe schon vor einhundert Jahren ein beliebtes Ausflugsziel!

REGIERUNG UND OBERLANDESGERICHT
INNSBRUCK PRÜFEN

Kriegsbedingt kam das Regulierungsverfahren dann zu einem Stillstand. Im Juni 1919 verfolgte das k. k. Lokal-Kommissariat vorübergehend die Idee, das „Operationsgebiet“ zu erweitern: Sämtliche Mutterer Gemeinschaftsliegenschaften sollten in das Regulierungsverfahren einbezogen werden. Weil das Eigentum grundbücherlich der „Gemeinde Mutters ohne Raitis“ zugeschrieben war, verfasste der Lokal-Kommissär unter dem 27. Juni 1919 einen Vorhabensbericht an den zuständigen Landesrat. In diesem nahm er auch zu den Eigentumsverhältnissen an der Mutterer Alpe Stellung: „Die grundbücherliche Eintragung entspricht, wie im Zuge des Regulierungsverfahrens ermittelt, nicht den tatsächlichen Rechtsverhältnissen. Die Mutterer Alpe ist nicht als Gemeindegut im Sinn der Gemeindeordnung, sondern als Eigentum der Mutterer Alpinteressentschaft anzusehen, welche sich aus den jeweiligen Eigentümern der im Anteilsregister genannten Höfe zusammensetzt. Es ist daher beabsichtigt, die grundbücherliche Eintragung richtig stellen und das Eigentumsrecht am Gemeinschaftsgut für die Agrargemeinschaft Mutterer Alp- und Waldinteressentschaft eintragen zu lassen.“ Auch der Mutterer Gemeinderat wollte das gesamte agrargemeinschaftliche Vermögen in dieser ersten Phase der Regulierung einbeziehen; in der Sitzung vom 11. Mai 1919 wurde in diesem Sinn beschlossen. Gescheitert ist dies an formellen Voraussetzungen. Das Regulierungsverfahren wurde deshalb hinsichtlich der Mutterer Alpe mit „Generalakt“ der Agrarbezirksbehörde vom 5. Februar 1925, berichtigt am 19. Jänner 1926, abgeschlossen. Der Generalakt bestätigt förmlich das Eigentumsrecht der Agrargemeinschaft an der Alpe. Zuvor hatten die Tiroler Landesregierung mit Beschluss vom 24. April 1924 und der Gemeinderat mit Beschluss vom 13. Jänner 1924 das Eigentum der Agrargemeinschaft anerkannt und in die Berichtigung des Grundbuches ausdrücklich eingewilligt. Die Agrarbehörde hat dann die Richtigstellung des Grundbuches durch das Bezirksgericht Innsbruck beantragt, wobei nach damaliger Rechtslage auch noch das Oberlandesgericht Innsbruck als Prüfinstanz einschreiten musste. Dieses hat mit Beschluss vom 16. März 1926 den gesamten Vorgang genehmigt, sodass die Agrargemeinschaft als wahre Eigentümerin der Mutterer Alpe im Grundbuch eingetragen wurde.

DAS „ZWEI-KASSEN-SYSTEM“

Wie im Gemeinderatsbeschluss vom 11. Mai 1919 nachzulesen, existierte erhebliches weiteres Vermögen, das den 52 Mutterer Hofbesitzern zugeordnet und über die „Kasse II“ der Ortsgemeinde verwaltet wurde: 1.) der Urschelerhof, Haus Nr. 63, KG Mutters, 2.) die Waldung vom Sillbach bis zum Kahlgestein, 3.) die Brettersäge im Mühlgraben, 4.) zwei Schottergruben, 5.) das Stiermahd und 6.) diverse im Ortsried gelegene Parzellen. Das Protokoll der Agrarbezirksbehörde Innsbruck vom 11. Oktober 1921, gibt zu den näheren Verhältnissen dieser Liegenschaften folgende Auskunft: „1. Urscheler Hof: Dieser wurde von der Gemeinde Mutters ohne Raitis im Jahr 1909 gekauft und das erforderliche Geld hierzu bei der Raiffeisenkasse aufgeliehen. Das Haus samt Garten wurde vermietet und die Grundstücke wurden parzelliert und immer für ein Jahr deren Ernte verpachtet; zur Pachtung waren nur die Besitzer der 52 Höfe zugelassen. Die Pachtgelder wurden zur Verzinsung und Amortisierung des Ankaufskapitals verwendet und nach Rückzahlung desselben im Jahr 1917 in Kasse II verrechnet.“ Behandelt werden im genannten Protokoll ex 1921 weiters die Verhältnisse an der Waldung von der Sill bis zum Kahlgestein, die von jeher in der Benützung der 52 Höfe stand, deren Besitzer das Holz auch verkaufen durften; an der Brettersäge im Mühlgraben, die in den 1880er Jahren von den 52 Besitzern gebaut und deren Überschüsse in die „Kasse II“ verrechnet wurden, sowie an den Schottergruben, dem Stiermahd, den Pfrimesmähdern sowie den Grundstücken im Ortsried. Diese Liegenschaften wurden sämtlich als Eigentum der 52 Stammsitzeigentümer angesehen.

Nachdem schon die Regulierung der Almliegenschaft gut 15 Jahre in Anspruch genommen hatte, wollten der Gemeinderat und die Stammliegenschaftsbesitzer das weitere Agrarverfahren beschleunigen: Am 20. November 1925 beschloss der Gemeinderat von Mutters, die der „Gemeinde Mutters ohne Raitis“ grundbücherlich zugeschriebenen Liegenschaften den rechtmäßigen Besitzern in das Eigentum zu übergeben. Dieser Beschluss des Gemeinderates von Mutters wurde unter Ausschluss der dem Gemeinderat angehörenden sechs Mitglieder der Agrargemeinschaft Mutterer Alpe sowie unter Beiziehung von unparteiischen Ersatzmännern einstimmig gefasst. Am 13. Mai 1926 beschloss der Gemeinderat von Mutters, dass der Wunsch der Gemeinde bestehe, die Liegenschaften, die im Grundbuch als Eigentum der „Fraktion Mutters“ aufscheinen, einer Regulierung zu unterziehen und der Mutterer Interessentschaft zu übertragen. Wenn einzelne der Gemeinschaftsgüter nicht in das Agrarverfahren einbezogen werden könnten, so werde der Gemeinderat versuchen, für eine direkte Übertragung die Genehmigung der Aufsichtsbehörde zu erwirken. Am 4. Mai 1929 beschloss der Gemeinderat eine größere Anzahl dieser Liegenschaften aus dem Grundbuch der Gemeinde auszuscheiden und in die Agrargemeinschaft der Mutterer Alpe einzuverleiben; am 16. Juli 1930 wurde dieser Beschluss in detaillierterer Ausführung wiederholt.

52 ALTE „FEUERSTÄTTEN“

Unter dem 2. Juli 1930 errichtete die Ortsgemeinde Mutters gemeinsam mit der Agrargemeinschaft Mutterer Alpe eine Aufsandungsurkunde, nach deren Inhalt die politische Gemeinde Mutters das Eigentumsrecht der Agrargemeinschaft Mutterer Alpe an diversen Liegenschaften anerkannte.

Zum Rechtsgrund dieser Eigentumsanerkennung führt der errichtete Vertrag Folgendes aus: „Da diese Liegenschaften nie im Besitze und Genuss der Gemeinde Mutters standen, sondern vielmehr von den in der Agrargemeinschaft Mutterer Alpe zusammengefassten Haus-, Hof- und Viehbesitzern von Mutters ausschließlich allein benützt und verwaltet wurden, überlässt und übergibt die Gemeinde Mutters, um das Eigentumsrecht mit dem faktischen Besitz in Einklang zu bringen, diese Liegenschaften der Agrargemeinschaft Mutterer Alpe und letztere übernimmt dieselben in ihr volles und wahres Eigentum.“ Unter dem 2. Juni 1931 wurde ein Nachtrag verfasst.

Alle diese Rechtsakte sind vom Standpunkt der Aufsicht über das Gemeindevermögen durch die Tiroler Landesregierung genehmigt worden. In einem Amtsvermerk vom 4. September 1930 wurde dazu Folgendes festgehalten: „Gegen die formelle Abtretung der nie im Eigentum der Gemeinde gestandenen Realitäten bestehen keinerlei Bedenken.“ Am 20. Juli 1931 wurde die Berichtigung der Eigentumsverhältnisse im Grundbuch durchgeführt, nachdem die Aufsandungsvereinbarung noch vom Landesagrarsenat genehmigt worden war und die Agrarbezirksbehörde am 9. Juli 1931 dies bestätigt hatte.

Für die Regulierung des Gemeinschaftswaldes „von der Sill bis zum Kahlgebirge“ hatte die Agrarbehörde ein eigenes Verfahren durchgeführt, welches mit Erkenntnis des Landesagrarsenates vom 24. Oktober 1930 eingeleitet wurde. Der Senat unter dem Vorsitz von Landesrat Andreas Gebhart gelangte in Anwesenheit der weiteren Mitglieder Vz.Präs. des Oberlandesgerichts Dr. Blaas, des Richters des Oberlandesgerichts HR Dr. Zingerle, des Leiters der Rechtsabteilung für Bodenreform HR Dr. An der Lan, des Regierungsforstdirektors HR Ing. Johann Christian und des Landeskulturrats-Vz.Präs. Josef Steiger, zu der Erkenntnis, dass dieser Wald eine Gemeinschaftsliegenschaft ist, über welche ausschließlich die Agrarbehörde zu entscheiden hat. Nach weiterer, rund 15-jähriger Verfahrensdauer wurde mit Regulierungsplan vom 10. Oktober 1945 die Entscheidung gefällt, dass auch der Wald „zwischen der Sill und dem Kahlgebirge“ im wahren Eigentum der Agrargemeinschaft steht. Unter einem wurde die Agrargemeinschaft umbenannt: Seit diesem Tag lautet ihr Name „Agrargemeinschaft Mutters“. Den letzten Rechtsakt setzte das Bezirksgericht Innsbruck: Im April 1950 wurden auch bei den Waldliegenschaften die Eigentumsverhältnisse richtig gestellt. Nach rund 40-jähriger (!) Verfahrensdauer insgesamt und Involvierung jeder denkbaren Behörde vom Mutterer Gemeinderat bis zum Oberlandesgericht Innsbruck waren die Rechtsverhältnisse am Mutterer Gemeinschaftsbesitz geordnet.

Der Gemeinschaftsbesitz der 52 Mutterer Stammsitze umfasst knapp 425 ha Grundfläche, davon sind ca. 220 ha Wirtschaftswald, 83 ha Schutzwald im Ertrag, 50 ha Schutzwald außer Ertrag und 70 ha Almfläche. Die Agrargemeinschaft hat 36 km Wald- und Wirtschaftswege errichtet, die laufend instand gehalten werden. Im Durchschnitt entfällt somit auf jede der alten 52 Hofstätten ein Gemeinschaftsgebiet von rund 8,2 ha, wovon rund die Hälfte Schutzwald- oder Almflächen sind. Die Bauern von Mutters haben keinen nennenswerten Wald in ihrem Alleineigentum.