Josef Ruetz aus Kematen ist Vollerwerbsbauer. Sein Hobby ist die Geschichte seines Stammsitzes, der „Untere Ruetz“ in Kematen samt dem damit verbundenen Gemeinschaftsbesitz, die Kemateralpe, der Archberg-Winkelbergwald und der Burgseitenwald. Einmal pro Woche fährt er ins Innsbrucker Landesarchiv, um in alten Urkunden zu forschen. „Das macht süchtig“, verrät er, während er in seiner fast 1000-seitigen Chronik des „Unteren Ruetz“ blättert. Der Erbhof „Unterer Ruetz“ ist seit 8. April 1704 im Besitz der Familie Ruetz. Josef Ruetz hat die Geschichte des Hofes freilich viel weiter zurückverfolgt; dies bis zu den Anfängen des Tiroler Verfachbuchs für den Gerichtsbezirk Sonnenburg (Innsbruck). Jeden Erwerbsvorgang über die Jahrhunderte hat Josef Ruetz ausheben und die betreffende Urkunde transkribieren lassen; dies zurück bis zur ältesten, im Tiroler Landesarchiv verwahrten Urkunde aus dem Jahr 1313. Der Hof stand zu dieser Zeit im Eigentum des Innsbrucker Stadtrichters Aut (Otto) von Matrei. Als dieser gestorben war, schenkte seine Witwe Gerwig, geb. von Liebenberg, im Jahr 1313 das Anwesen dem Prämonstratenser-Chorherrenstift Wilten. Der Hof, in den ältesten Dokumenten „Zirmbachgut“, später „Pucher Lehen“ genannt, war bis zur Grundentlastung im 19. Jahrhundert dem Prämonstratenser-Chorherrenstift Wilten zinspflichtig. Im „Boarischen Rummel“ des Jahres 1703 hatten die bayrischen und französischen Truppen in Kematen wild gehaust. Auch der „Untere Ruetz“, das „Pucher Lehen“ wurde niedergebrannt und der Besitzer ermordet. Da sich die 22 potenziellen Erben nicht einigen konnten, wurde das Gut 1704 an die Familie Edenhauser verkauft. Diese sind direkte Vorfahren der heutigen Besitzerfamilie Josef Ruetz. Der Stammhof, einer der ältesten Höfe in Kematen, stand neben der Kirche und trug die Hausnummer 12. 1910 brannte das Anwesen neuerlich ab und wurde mit geringfügigen Veränderungen wiedererrichtet. Im Zuge der Grundzusammenlegung in den 1960er Jahren wurde 1967 das Wirtschaftsgebäude und schließlich 1970 auch das Wohngebäude ins Michlfeld ausgesiedelt. 1988 übernahm Josef Ruetz nach alter Tradition den Hof von seinem Vater. Als Vollerwerbsbauer führt er ihn mit 45 Großvieheinheiten bis heute weiter. Natürlich hat die Geschichte des Hofes nicht erst im Jahr 1313 begonnen; die Urkunde aus dem Jahr 1313 ist lediglich der älteste Erwerbsakt für den Hof, der im Tiroler Landesarchiv aufbewahrt wird. Anzunehmen ist, dass die Geschichte des Hofs in Wahrheit schon mit den Anfängen der heutigen Besiedlung Tirols durch die Bajuwaren begonnen hat, sohin im 6. oder 7. Jh. n. Chr. Der dem Hof zuzuordnende Grundbesitz ist somit über einen Zeitraum von mehr als 1000 Jahren entstanden. Der Gemeinschaftsbesitz Kemateralm, dessen Geschichte Josef Ruetz gerade bearbeitet, lässt sich anhand bekannter Urkunden noch länger in der Historie zurückverfolgen. Das Kernstück der Alm, der Berg Senders, war Teil der Schenkungen von Kaiser Konrad II. im Jahr 1027 an das „Bistum Brixen“. Im Jahr 1142 übergab Bischof Reginbert von Brixen den Berg Senders dem Stift Wilten als Ausstattung. 1352 schließlich übergab das Stift Wilten die Alm am Senders den Kematern, welche dafür einen jährlichen Grundzins von 26 Pfund Perner, Meraner Münz, bezahlen mussten. Dies bis Mitte des 19. Jahrhunderts, als alle Grundzinse im Zuge der Grundentlastung abgelöst wurden. Wer wurde Eigentümer der Alm, als das Obereigentum des Stifts Wilten aufgehoben wurde? Die Grundbuchanlegungsbeamten hatten sich die Sache eher einfach gemacht. Um die Jahre 1898 bzw. 1899 hat man als Eigentümerin der Alm die Etikette „Gemeinde Kematen mit Ausschluss der Nachbarschaft Afling und des Burghofes“ gewählt. Als Eigentumstitel wurde insbesondere die Verleihungsurkunde des Stifts Wilten aus dem Jahr 1352 (!) angeschrieben. Gerade so, als ob eine Gemeinde Kematen im Sinn des Verständnisses um die Wende zum 20. Jahrhundert im Jahr 1352 bereits existiert hätte.

HOFBESITZ UND GEMEINDERECHT

Über Jahrhunderte hat sich der Rechtsverkehr vor allem mit Nutzungsrechten an Gemeinschaftsliegenschaften befasst. Die älteste Urkunde aus dem Tiroler Raum, wo „Gemainnutzungen“ einer Hofstelle als Zubehör zugeschrieben sind und als Privatrecht mit der betreffenden Hofstelle auf den neuen Eigentümer übertragen werden, stammt aus dem 10. Jh. Bischof Altwin von Brixen verschaffte darin dem Edlen Berchtold „… illum usum, qui vulgo dicitur gimeineda“. Die älteste erhaltene Urkunde, in der die Bezeichnung „Gemain“ als Umschreibung für eine solche gemeinschaftlich genutzte Liegenschaft verwendet wurde, ist ein Tauschvertrag aus der Zeit von 1050/1065. Im Innsbrucker Stadtrecht von 1239 – zur Gänze in Latein abgefasst – werden die gemeinsam genutzten Weideplätze wie folgt beschrieben: „quod gemeinde dicitur“. Jedes individuelle Nutzungsrecht des einzelnen Hofbesitzers läuft parallel mit der vergleichbaren Berechtigung der anderen Hofbesitzer der Nachbarschaft. Die Tatsache solcher parallel laufender Nutzungsrechte mehrerer Nachbarn an ein und demselben Waldstück setzt eine „Gemeinschaftsordnung“ voraus. Solche Gemeinschaftsordnungen für Wald und Weide sind auch tatsächlich bis in das zwölfte Jh. zurück in schriftlicher Form nachweisbar. Beispielsweise ist aus Bozen ein so genanntes „Weistum“ aus dem Jahr 1190 bekannt, welches die Nutzung der Allmendwiesen und des gemeinsamen Waldes durch die dortigen Nachbarn regelte. Eigentum setzt den Willen voraus, eine Sache für sich zu behalten und andere davon auszuschließen. Insofern eine Gemeinschaft von Hofbesitzern eine Allmende exklusive für sich in Anspruch nimmt und sich mit diesem Exklusivitätsanspruch durchsetzt, entsteht Eigentum. Theoretisch denkbar ist der Eigentumserwerb an Allmendliegenschaften sowohl durch Okkupation als auch durch Ersitzung. Dies freilich im Rahmen der jeweiligen Rechtsordnung. Am so genannten Allmendland, am Gemeinschaftswald und der Gemeinschaftsweide haben die Fürsten traditionell besondere Rechte behauptet. Als Träger der Gesetzgebungsgewalt konnten sie ihren diesbezüglichen Willen in Gesetzesform kleiden. So wird behauptet, dass schon der Gründer Tirols, Meinhard II. (* um 1238; † 1. November 1295 in Greifenburg), den Rechtssatz aufstellte, dass die Tiroler Wälder Eigentum des Landesfürsten seien. Jedenfalls schriftlich dokumentiert ist, dass der Sohn von Meinhard II., Heinrich, Graf von Tirol und Herzog von Kärnten (* 1265; † 1335), im Jahr 1330 in seinem „Amtsbuch“ sämtliche Waldungen des Inn- und Wipptales als Eigentum des Tiroler Landesfürsten dekretierte. Ein Fürsteneigentum an den Wäldern und Weiden zu behaupten, ist das eine; dieses Eigentumsrecht in der Praxis durchzusetzen, ist das andere. Die Rechte, die der Landesfürst an den Gemaindliegenschaften für sich durchsetzen konnte, werden unter dem Begriff „Allmendregal“ zusammengefasst. Beispielsweise verfügte Anfang des 15. Jh. Friedrich, Landesfürst von Tirol (* 1382; † 1439), dass nunmehr jeder „Neubruch“ in der Gemain (= Umwandlung des Waldlandes in Weide oder Bauland) – egal ob durch einzelne oder durch die Gesamtheit der Berechtigten, der landesfürstlichen Genehmigung bedürfe. Weitere landesherrliche Rechte an den „Gemainen“ wurden insbesondere im Bereich der Jagd durchgesetzt. Unter Kaiser Maximilian I. (* 1459; † 1519) wurde im Tiroler Landlibell von 1511 Folgendes verfügt: „Von wegen der gemain, …, die sollen in kainem weg eingefanngen werden on der gerichtsherrn oder phlegers an dem ennd, … , auch der unnderthanen, denen dieselb gemaind zugehoeret, wissen und willen, welcher das darueber teatten, der oder dieselben sollen darumb gestrafft werden.“ Mit dieser Gesetzesregelung wurde klargestellt, dass von der Gemain nichts in Einzeleigentum umgewandelt werden dürfe ohne Zustimmung des Gerichtsherren, des Pflegers und ohne Wissen und Willen der Untertanen, denen die betreffende Gemaind „gehörte“. Für die gefürstete Grafschaft Tirol war damit verbrieft, dass ohne Wissen und Willen der berechtigten Nachbarschaften niemand Fremder auf den Gemeinschaftsliegenschaften angesiedelt werden durfte. Die Zustimmung der jeweiligen nutzungsberechtigten Nachbarschaft war ab dem Jahr 1511 in Tirol verfassungsmäßige Voraussetzung für die Ansiedlung von Zuzüglern auf den Gemeinschaftsliegenschaften. Daran knüpfte sich eine Entwicklung, die im Tiroler Forstregulierungspatent 1847 durch die förmliche Anerkennung des Privateigentumsrechts der Nachbarschaften ihren (vorläufigen) Abschluss fand.

„METTERNICH’SCHES FORSTSYSTEM“ 

Seit Verabschiedung des Tiroler Landlibells im Jahr 1511 waren über 300 Jahre vergangen. Jede Nachbarschaft nutzte über diesen Zeitraum ihre jeweiligen Gemeinschaftsliegenschaften mit Ausschluss anderer Nachbarschaften. Der Sache nach hat jede dieser „Wirtschaftsgemeinden“ Eigentum ausgeübt. Dies ungeachtet der Rechte des Landesherrn aus dem feudalen Obereigentum. Wesentlich ist, dass Dritte von der Nutzung ausgeschlossen wurden und dass die einzelne Nachbarschaft über die Erträgnisse ihrer Liegenschaften verfügt hat. Dabei wollte man die Vorgaben der landesfürstlichen Forstverwaltung immer weniger als verbindlich hinnehmen. Parallel entwickelte die aus dem Sieg über Napoleon und aus der Neuordnung Europas am Wiener Kongress 1815 gewaltig gestärkte Staatsgewalt (Restaurationszeit, Metternich’sches System) neues Selbstbewusstsein. Die landesfürstliche Forst­verwaltung stellte sich deshalb im Verlauf der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wieder auf den Rechtsstandpunkt, dass in Tirol von einem allgemeinen landesfürstlichen Waldeigentum auszugehen sei. Die Tiroler Nachbarschaften hätten demnach an ihren Gemeinschaftswäldern keine Rechte; nur den einzelnen Hofeigentümern, den Feuerstattbesitzern, kämen kraft Ersitzung Holzbezugsrechte oder „Gnadenholzbezüge“ zu. Diese Rechtsauffassungen standen einander unvereinbar gegenüber. Als 1839 eine neue Waldordnung in Kraft trat, brach in Tirol ein wahrer Sturm von Rechtsstreitigkeiten los. Die Tiroler wollten von diesem angeblichen Eigentum des Landesfürsten an „ihren“ Wäldern nichts mehr wissen. Ein Bericht eines anonymen Schreibens in der Österreichischen Vierteljahresschrift für das Forstwesen des Jahres 1851 erklärt, dass eine heillose Verwirrung in den forstlichen Eigentumsverhältnissen entstand. Hunderte von Rechtsstreiten seien anhängig gewesen, „doppelt so viele Federn in Bewegung, um für und dagegen zu schreiben“. Die Forstverwaltung sei fast ausschließlich mit der Sammlung von Klagebehelfen und Instruierung von Klagen beschäftigt gewesen.“ Die kaiserliche Forstverwaltung befand sich in einem Dilemma. Nach den historischen Quellen hatte der Tiroler Landesfürst, ab 1804 „Kaiser von Österreich“, vornehmlich in der Umgebung von Bergwerken und Salinenbetrieben und in speziellen Forsten Herrschaftsrechte über die Wälder ausgeübt, weshalb das behauptete Eigentum an allen so genannten „gemeinen Wäldern“ auch unter den historischen Verhältnissen als Anmaßung empfunden wurde. Der absolut regierende Herrscher besaß zwar die Gesetzesmacht, um Staatseigentum zu schaffen. Auch für ein absolut regierendes Staatsoberhaupt gelten jedoch sachenrechtliche Grundprinzipien der Rechtsordnung – zumindest sinngemäß. Eigentum verlangt die faktische Machtausübung als Wesenselement. Wenn deshalb faktische Herrschaftsrechte an einer Sache „seit Menschengedenken“ nie ausgeübt wurden, dann entsteht auch für ein absolut regierendes Staatsoberhaupt ein gewisser Argumentationsnotstand. Die Zentralregierung in Wien – schon damals um elegante Auswege aus einem staatspolitischen Dilemma nicht verlegen – wählte, um beiden widerstreitenden Ansichten Genüge zu tun, die Variante eines kaiserlichen Gnadenaktes: In „huldvoller Berücksichtigung der im Verlauf der Zeit eingetretenen Verhältnisse“ [Ersitzung!] sollte das landesherrliche Hoheitsrecht an den Wäldern, Alpen und Auen Tirols so umgestaltet werden, dass auch die Stammliegenschaftsbesitzer zu ihrem Recht kämen. Rechtsgrundlage dafür war die mit aller höchster Entschließung vom 6. Februar 1847 befohlene „Regulirung der Tiroler Forstangelegenheiten“; das betreffende Gesetz ist als das „Tiroler Forstregulierungspatent 1847“ bekannt.

WALDZUWEISUNG IN OSTTIROL

Nach diesem Gesetz wurden zwei Regionen Tirols unterschieden: der so genannte „Regalitätsforstbezirk“ und das übrige Tirol (in den Grenzen des Jahres 1847!). Als „Regalitätsforstbezirk“ wurden die Kreise Oberinntal einschließlich des Lechtals und Unterinntal einschließlich des Wipptals sowie bestimmte Forstkomplexe südlich des Brenners definiert. Außerhalb dieses Regalitätsforstbezirks, insbesondere auch im Gebiet des heutigen Osttirols, hat der Kaiser generell auf sein Hoheitsrecht an den Wäldern, Alpen und Auen verzichtet. Der Landesfürst und „Kaiser von Österreich“ hat sein (behauptetes) Obereigentum an diesen Wäldern förmlich aufgegeben (Art. 6 des Forstregulierungspatents 1847). Die Wälder außerhalb Nordtirols sollten demnach Eigentum derjenigen werden, die in dem betreffenden Wald holzbezugsberechtigt waren. Das Tiroler Forstregulierungspatent 1847 spricht von den „bisher zum Holzbezuge berechtigten oder mit Gnadenholzbezügen beteilten Gemeinden als solchen“, deren Eigentum an den Wäldern nunmehr förmlich anerkannt würde. Gemeint war mit der „holzbezugsberechtigten Gemeinde“ (natürlich) nicht eine Kirchengemeinde, nicht die Schulgemeinde und nicht eine Steuergemeinde. Genauso wenig war an die heutige politische Ortsgemeinde gedacht, wenn ersessenes Eigentum der „holzbezugsberechtigten Gemeinde“ angesprochen wurde. Der Begriff „berechtigte Gemeinde“ steht für „Gemeinschaft“ – entsprechend dem damals üblichen Sprachgebrauch. Die „holzbezugsberechtigte Gemeinde“ war niemand anders als die Summe der jeweils berechtigten Nachbarn, die Summe der jeweiligen Gruppe an Hofbesitzern, mit deren Stammsitzliegenschaften das Holznutzungsrecht im betreffenden Waldstück verbunden war. Diese Nachbarschaften hatten die betreffenden Waldstücke über Jahrhunderte unter Ausschluss von anderen Nachbarschaften bewirtschaftet. In dem Moment, in dem das feudale Obereigentum der Fürsten abgeschafft wird, verbleiben als einzig denkbare Berechtigte diejenigen, die den jeweiligen Wald an Ort und Stelle seit jeher genutzt haben. Nur diese können zivilrechtliche Eigentümer werden. Ihre Rechtsstellung wurde per Gesetz vom Status „Nutzungsrecht“ in den Status „Eigentum“ umgewandelt. Die Bestätigung des Eigentums zu Gunsten der jeweils „holzbezugsberechtigten Gemeinde“ erfolgte seitens des Landesherrn (selbstverständlich) unter dem Vorbehalt besserer Rechte Dritter. Diesen Vorbehalt erforderte schon die Tatsache, dass der Adressat der Eigentumsbestätigung, die jeweils „holzbezugsberechtigte Gemeinde“, keine generell abgrenzbare Erscheinung war, zumal die Rechtsverhältnisse in ihrer lokalen Vielfalt gar nicht geprüft werden konnten. Eine bestimmte Gruppe von Holzbezugsberechtigten konnte sich deshalb nicht gegenüber einer anderen Gruppe von Holzbezugsberechtigten auf das Tiroler Forstregulierungspatent 1847 als Rechtstitel ihres Eigentums berufen. Vielmehr hat hier das jeweils bessere Recht gegolten. Gleiches galt, falls einzelne Grundbesitzer bestimmte Waldstrecken alleine und ausschließlich für sich genutzt hatten. Mit dem Wegfall des Obereigentums des Landesfürsten wurde derjenige oder wurden diejenigen zu (Voll-)Eigentümern, welche die ausschließliche Nutzung als Gruppe oder auch als einzelne zumindest über die Ersitzungszeit des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs nachweisen konnten. Organisatorisch umgesetzt wurde die Maßnahme erst in den 1850er Jahren. Die Instruktion für Umsetzung dieser Maßnahme im Kreisregierungs-Bezirk Brixen aus dem Jahr 1853 und die weiteren Formularien dazu haben die damaligen politischen Gemeinden in die Neuordnung der Eigentumsverhältnisse eingebunden. Formal wurden die politischen Gemeinden innerhalb der jeweiligen Gemeindegrenzen für die Zuweisung der Waldstrecken an den richtigen Eigentümer zuständig gemacht.

EIGENTUMSPURIFIKATION IN NORDTIROL

Im gesamten Nordtiroler Raum, den Kreisen Oberinntal und Unterinntal, im „Regalitätsforstbezirk“, wurde hingegen das landesfürstliche Hoheitsrecht an den Forsten, Almen und Auen als Grundsatz aufrechterhalten, jedoch wichtigen Modifikationen unterworfen. Es wurde folgender Kompromiss gefunden: Zum einen hat der historische Gesetzgeber eine ganze Reihe von Ersitzungstatbeständen anerkannt, zum anderen wurden die Holzbezugsrechte und „Gnadenholzbezüge“ der Hofbesitzer in Grund und Boden abgelöst. Ersessenes Privateigentum an Wäldern wurde insbesondere dann anerkannt, wenn einzelne oder ganze Nachbarschaften Jahrzehnte lange Grundsteuerzahlungen geleistet hatten. Anhand genau definierter Vorgaben wurde bei Erfüllung aller Voraussetzungen Privateigentum an Forsten, Alpen und Auen sowohl für Einzelbesitzer als auch für die Nachbarschaften als solche anerkannt – „Gemeinden“, „Gemeindsparzellen“ oder ähnlich genannt. Das Tiroler Forstregulierungspatent spricht von einer „Eigentumspurifikation“. Die Gesetzesgrundlage dafür war in Art. 2 Forstregulierungspatent 1847 gelegt. Nach dieser Gesetzesregelung „gestattete“ der „aller höchste Landesfürst“ auch in Nordtirol „die Beurteilung der Eigentumsansprüche von einzelnen Privaten oder Gemeinden, in huldvoller Berücksichtigung der eingetretenen Verhältnisse, für das Vergangene in Anwendung der Bestimmungen des allgemeinen bürgerlichen Rechts“ – zu deutsch: Kaiser Ferdinand I. wollte und hat ersessenes Eigentum an Wäldern anerkannt. Dies allerdings nur unter genau definierten Voraussetzungen, die eine eigens einzusetzende Kommission anhand jedes Einzelfalles prüfen und darüber entscheiden sollte. Die Instruktion für diese Kommission stammt vom 16. Juni 1847 und diese enthält folgende bemerkenswerte Klarstellung dazu: „Die Commission hat also die Bestimmung, in jenen Forstgebieten Tirols, in welchen das landesfürstliche Forsthoheitsrecht als Regel aufrecht verbleibt, namens der obersten Finanzverwaltung […] das Privatforsteigenthum im außergerichtlichen Wege zu liquidiren, wodurch dasselbe von künftigen aerarischen Ansprüchen enthoben und gesichert und in diesem besonders für das Land Tirol wichtigen Beziehungen den streitigen Differenzen zwischen den Privaten und dem Aerar ein Ziel gesetzt, und für die Zukunft begegnet werden soll.“ Tausende Waldparzellen wurden in Nordtirol nach diesen Vorgaben des historischen Gesetzgebers im Zeitraum 1847 bis 1849 als Privateigentum anerkannt, zusätzlich Almliegenschaften und Auen. Für jeden Gerichtsbezirk in Nordtirol wurde eine so genannte Privatforsteigentums-Purifikations-Tabelle angelegt. In der Masse handelte es sich um Einzeleigentum an Waldparzellen und Gemeinschaftseigentum an Almen. Speziell im ehemaligen Gerichtsbezirk Sonnenburg, heute: Bezirksgericht Innsbruck, war es jedoch üblich, dass auch für den Gemeinschaftsbesitz an Wald schon damals (freiwillig) Grundsteuer bezahlt wurde. Insoweit dies der Fall war z. B. in Afling, Aldrans, Amras, Axams, Birgitz, Götzens, Grinzens, Hötting, Igls, Kematen, Kreith, Lans, Mutters, Natters, Patsch, Raithis, Vill, Völs und Wilten, wurden die Gemeinschaftswälder im Wege der „Purifikation“ als (gemeinschaftliches) Privateigentum anerkannt.

SERVITUTENABLÖSUNG IN NORDTIROL

  In ihren praktischen Auswirkungen wesentlich bedeutsamer als die „Forsteigentumspurifikation“ war die systematische Ablösung der Nutzungsrechte der Stammliegenschaftsbesitzer Nordtirols, die Forstservitutenablösung 1847. Dabei wurden die Nordtiroler Nachbarschaften, anders als die Osttiroler, nicht in Bausch und Bogen als Eigentümer ihrer „gemeinen Waldungen“ anerkannt. Vielmehr erwarben die Nutzungsberechtigten im Wege eines Ablösegeschäfts – Verzicht auf Nutzung gegen Eigentum (an einer verkleinerten Fläche) – die „gemeinen Waldungen“ nur zum Teil als gemeinschaftliches Privateigentum. Einen nicht unbedeutenden Anteil hat sich der Landesfürst zurück behalten. In diesen dem Staat vorbehaltenden Wäldern mussten die Stammliegenschaftsbesitzer auf ihre „Beholzungsservituten“ im Vergleichswege förmlich Verzicht leisten. Die Vertragsformel, die in den meisten dieser Servitutenablösevergleiche verwendet wurde, lautet wie folgt: „Leistet die Gemeinde für sich und sämtliche Gemeindeglieder auf alle ihr von der k. k. Waldservituten-Ausgleichungs-Kommission nicht ausdrücklich vorbehaltene Nutzungen und Bezüge, also auch auf das Streumachen, Grasmähen, und so fort in den vorbehaltenen Staatswäldern sowohl, als auch in den anderen Gemeinden überlassenen Wäldern feierlich Verzicht“. Im Gegenzug bestätigte der Landesfürst an den Ablöseliegenschaften das freie Eigentum. Das juristische Grundkonzept der Waldservituten-Ablösung war ein Tausch: Erledigung aller Nutzungsrechte auf dem Waldeigentum, welches sich der Landesfürst zurückbehalten oder anderen holzbezugsberechtigten Gemeinden (= Nach­barschaften) in das Eigentum übertragen wollte, Zug um Zug gegen freies Eigentum an einer Ablösefläche. Der Sache nach wurde das Eigentum auf eine aus den nutzungsberechtigten Stammliegenschaftsbesitzern gebildete „Korporation“ übertragen – die „Gemeinde der Holzbezugsberechtigten“. In einem Akt wurden die Nutzungsrechte der Betreffenden auf dem zurückbehaltenen Staatseigentum aufgehoben. Auf diese Art und Weise sind in Nordtirol die Masse der heutigen Agrargemeinschaftswälder entstanden – jeder einzelne Ablösungsvergleich durch die eigenhändige Unterschrift des Ministers in Wien anerkannt. Den Agrargemeinschaftwäldern steht der Staatswald in Nordtirol gegenüber, heute Bundesforsteliegenschaften. Die Ablöseflächen, das neue Nachbarschaftseigentum, sollte so bemessen sein, dass alle holzbezugsberechtigten Nachbarschaftsmitglieder künftig ihren Bedarf aus dem Gemeinschaftseigentum decken können. Vorausgesetzt wurde dabei, dass die neue Bewirtschaftung als Privateigentum wesentliche Ertragssteigerungen mit sich bringt.