Im Unterlangkampfen-Erk VfSlg 19.262/2010 hatte der Verfassungsgerichtshof als Reaktion auf den erbitterten Widerstand gegen das „Mieders-Verkenntnis“ von 2008 zwei völlig konträre Begriffskonzepte von „Gemeindegut“ als denkmöglich vorgestellt:a) Im TFLG 1935 sei „Gemeindegut“ als ein Eigentum der Agrargemeinschaft definiert und auf diesen Umstand müsse bei der Gesetzesanwendung Rücksicht genommen werden. Das war die eine Sichtweise auf das Gemeindegut, mit der der Verfassungsgerichtshof dem Standpunkt der Agrargemeinschaft Unterlangkampfen gefolgt war.

b) Zusätzlich hat der Verfassungsgerichtshof jedoch eine zweite Sichtweise auf den Begriff „Gemeindegut“ zugelassen. Das war das Begriffsverständnis, wie dieses die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid vertreten hatte. Denkmöglich wäre es, so das Gericht, ein Gemeindegut ausschließlich als ein Eigentum der Ortsgemeinde zu verstehen. Der Tiroler Landesagrarsenat hatte dieses Begriffsverständnis aus dem „Mieders-Verkenntnis“ übernommen.

WICHTIG: Der Verfassungsgerichtshof hat somit dem Verwaltungsgerichtshof die Aufgabe zugeschoben, unter diesen zwei, völlig konträren Begriffskonzepten zu wählen. Der Verwaltungsgerichtshof sollte entscheiden, welches Begriffsverständnis im konkreten Fall das Richtige sei.

Damit hatte es der Verwaltungsgerichtshof in der Hand, den Gemeindegutsirrsinn einzudämmen oder diesem freien Lauf zu lassen bzw gar noch „weiter zu entwickeln“ – sozusagen den Irrsinn zum System zu erheben.

Der Verwaltungsgerichtshof entschied sich gegen jede „Eindämmung“. Und der Verwaltungsgerichtshof trieb den Gemeindegutsirrsinn auf die Spitze!

WICHTIG: Das „Nummernspiel“, anhand dessen der Verwaltungsgerichtshof ein „atypisches Gemeindegut“ von einer „schlichten Agrargemeinschaft“ unterscheiden möchte, ist schlicht UNSINN!

UNSINN und eine Persiflage auf den gesamten UNSINN der Judikatur zum atypischen Gemeindegut.

Dem Verfassungsgerichtshof wird das Spiegelbild von irrwitzigen Rechtssätzen vorgehalten, die sich angeblich auf Gerechtigkeitserwägungen und den Gleichheitssatz stützten. In Wahrheit sind Zufall und Rechtsirrtum maßgeblich – eben der Gemeindegutsirrsinn!

(Bild: die alte Böhmische Hofkanzlei in Wien am Judenplatz, die Residenz des Verwaltungsgerichtshofes. copyright: Wikipedia, CC BY-SA 3.0. File:Boehmische Hofkanzlei Vienna April 2007 003.jpg)

 

Buchstabensuppe-Lesen statt Faktencheck 

 Der Verwaltungsgerichtshof entschied in mehreren Erkenntnissen vom 30.06.2011 gegen die Eindämmung des Gemeindegutirrsinns. Und der Verwaltungsgerichtshof trieb den Gemeindegutirrsinn  auf die Spitze! Nicht das wahre Eigentum soll relevant sein; relevant soll ein zufälliges Paragraphenzitat sein – das “Nummernspiel”.

Nicht der wahre Eigentümer wird geschützt; vielmehr profitiert – abhängig von historisch zufällig gewählten §§-Zitaten – meist die jeweilige Ortsgemeinde, manchmal die Gemeinschaft der Nutzungsberechtigten – aber immer aufgrund von Willkür und Zufall, eben als Buchstabensuppen-Lese.

Das “Nummernspiel”, anhand dessen man angeblich ein “atypisches Gemeindegut” von einer “schlichten Agrargemeinschaft” unterscheiden  kann, ist eine Verhöhnung der ursprünglich tragenden Ideen – Schutz des wahren Eigentümers und der Gerechtigkeit. Das Nummernspiel ist eine Persiflage auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zum atypischen Gemeindegut, wie diese im Mieders-Erk VfSlh 18.446/2008 entwickelt wurde.

Das Nummernspiel ist bestenfalls Zerrbild der ursprünglichen Rechtsgedanken, wonach ein wahres Eigentum  der Ortsgemeinde zu schützen wäre. Eine kuriose “Eulenspiegelei” des Verwaltungsgerichtshofes fügt durch das Unterlangkampfen-Erk überholte Rechtssätze in ein System,  in dem Zufall und Rechtsirrtum entscheidend sind.

Obwohl der Verfassungsgerichtshof im Unterlangkampfen-Erkenntnis 2010 dem Verwaltungsgerichtshof unübersehbar die Möglichkeit eröffnet hatte, den Gemeindegutirrsinn einzudämmen und letztlich den Anwendungsbereich zu entziehen, hat der Verwaltungsgerichtshof entschieden, den Gemeindegutirrsinn auszubauen und auf die Spitze zu treiben.

Die Idee des Eigentumsschutzes wird verhöhnt. Nicht ein wahres Eigentum der Gemeinden wird mit dieser Judikatur geschützt, sondern ein willkürlich gewähltes Paragraphenzitat aus dem historischen Regulierungsverfahren. Daher die Bezeichnung „Nummernspiel“. Diese Paragraphenzitate sollen entscheiden, ob ein „atypisches Gemeindegut“ vorliegt oder nicht.

Traurig, aber wahr: Das Lesen in der Buchstabensuppe historischer Bescheide wird zur Methode, anhand derer eine historische Eigentumsverletzung „festgestellt“ (= unterstellt) wird. Weil die Buchstaben der historischen Bescheide  die Eigentumsverhältnisse unverrückbar gestaltet hätten, müssten die wahren historischen Eigentumsverhältnisse nicht geprüft werden.

Tausende Tirolerinnen und Tiroler werden solcherart mutwillig enteignet. Ein Justizskandal der Extraklasse!

 

Inhalt:
I. Ausgangslage
1. Verfangen im „Mieders-Verkenntnis“
2. Das doppelte Gesicht des Unterlangkampfen-Erk
a) Eindämmungsversuch gegen den Gemeindegutsirrsinn
b) Gesichtswahrung beim VfGH
c) Doppelgesichtigkeit als Ergebnis
3. Der Verwaltungsgerichtshof soll´s richten
II. Was macht der Verwaltungsgerichtshof?
1. Ausgangslage
2. Der VwGH macht auf Till Eulenspiegel
III.  Das Nummernspiel 
A. Zur Ausgangslage
1. Die Sachverhaltsgrundlagen VfSlg 18.446/2008
2. Argumente gegen VfSlg 18.446/2008
3. Die Judikatur seit VfSlg 18.446/2008
4. Der Verwaltungsgerichtshof verweigert
B. Die „Komposition“ des Verwaltungsgerichtshofes
1. Mia san mia
2. Keine verfassungskonforme Interpretation?
C. Schlussfolgerung
IV. Zusammenfassung

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I. Ausgangslage

1. Verfangen im „Mieders-Verkenntnis“

Es versteht sich von selbst, dass eine Judikaturänderung dem Ansehen und der Reputation eines Gerichts schädlich sein kann.

Jedes Gericht ist deshalb bestrebt, auf einer einmal gefundenen Rechtsansicht zu beharren. Gerade der Verfassungsgerichtshof, der in zwölfköpfigen  Senaten entscheidet, repräsentiert ganz besonders die gesamte Würde und Macht des Österreichischen Staates. Bei seinen Entscheidungen geht es immer auch um Ansehen und Reputation des Gerichts. Die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidungen, die „Gerechtigkeit“, muss da unter Umständen manchmal zurück stehen.

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2. Das doppelte Gesicht des VfGH-Unterlangkampfen-Erk

a) Eindämmungsversuch gegen den Gemeindegutsirrsinn

Der Verfassungsgerichtshof ist im „Unterlangkampfen-Erkenntnis„, VfSlg 19.262/2010 vom 10.12.2010, den Tiroler Agrargemeinschaften weit entgegen gegangen. Praktisch die gesamte Palette an Argumenten, die gegen das Mieders-Verkenntnis 2008 vorgebracht wurden, wurde übernommen. Folgende Vorgaben wurden aufgestellt:

1. Wenn die Agrargemeinschaft die behördliche Feststellung beantragt, ob bestimmte Grundstücke solche im Sinne des Erk. VfSlg. 18.446/2008 sind, so kommt es in erster Linie auf die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt der Regulierung an, weil die dieses Erkenntnis tragenden verfassungsrechtlichen Erwägungen die Übertragung von Eigentum einer (politischen) Gemeinde auf eine Agrargemeinschaft durch den behördlichen Akt der Regulierung zum Ausgangspunkt haben.

2. Es ist zu prüfen, ob vor der Regulierung ein Erwerbsvorgang zugunsten der politischen Gemeinde stattgefunden hat.

3. Es ist zu berücksichtigen, dass Grundbuchseintragungen unrichtig sein können, […] weswegen der Grundbuchsstand nicht zwingend die wahren Eigentumsverhältnisse wiedergeben muss.

4. Die Agrarbehörden sind bei Verfahren wie diesem verpflichtet, die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt der Regulierung zu klären und dabei alle zur Verfügung stehenden Mittel auszuschöpfen.

5. Der Verfassungsgerichtshof tritt der beschwerdeführenden Agrargemeinschaft daher nicht schlechthin entgegen, wenn sie die Ansicht vertritt, dass die von ihr im Verfahren relevierten Urkunden – namentlich die Urkunde über die angebliche Verleihung des Heimweidegebiets an die „Gemeind und Nachbarschaft zu Unterlangkampfen“ im Jahr 1670 und die der Grundbuchanlegung zugrunde liegenden Urkundenfür die Beurteilung der Eigentumsfrage rechtliche Relevanz haben könnten.

6. Wenn im Regulierungsverfahren ein „Gemeindegut“ gem §36 Abs2 litd des Flurverfassungslandesgesetzes vom 6. Juni 1935, LGBl. Nr. 42, festgestellt wurde, dann könnte damit auch ein „Gemeindegut“ im Sinne von „Eigentum der Agrargemeinschaft“ gemeint gewesen sein (vgl. hiezu Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler [Hrsg], Die Agrargemeinschaften in Tirol, 250f) –“

Schlussfolgerung aus dem „agrar-freundlichen Gesicht“ des VfGH-Unterlangkampfen-Erk: Es müsse im weiteren Verfahren geprüft werden, wann und wo die Ortsgemeinde Langkampfen ein Eigentum erworben hat. Zu prüfen sei, ob es einen Erwerbsvorgang, einen Eigentumstitel gibt,  durch den die Ortsgemeinde Eigentum erworben hat oder nicht? Die bloße Grundbuchseintragung, die gewählte Bezeichnung des jeweiligen Eigentümers (zB Gemeinde, Fraktion, Katastralgemeinde usw) reicht jedenfalls nicht aus, um ein wahres Eigentum der Ortsgemeinde zu Grunde zu legen.

b) Gesichtswahrung beim VfGH

Um die Doppelgesichtigkeit des VfGH-Erk zur AGM Unterlangkampfen zu verstehen, muss man wissen, dass der VfGH gegen Bescheide im Verwaltungsverfahren nur dann einschreitet, wenn die Behörde das Gesetz „denkunmöglich“ angewandt hat. Grob gesprochen: Der Bescheid muss „zum Himmel stinken“!
Wenn ein Bescheidergebnis – nach Auffassung des VfGH – zumindest denkmöglich ist, hebt der VfGH diesen Bescheid nicht auf. Vielmehr überlässt es dann der Verfassungsgerichtshof den  Betroffenen, ob diese auch den Verwaltungsgerichtshof anrufen. Der Verwaltungsgerichtshof entscheidet in letzter Konsequenz über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit des Bescheides.

Im Unterlangkampfen-Erk hat der VfGH zunächst eine ganze Reihe von Aussagen getroffen, die dem Standpunkt der AGM Unterlangkampfen Recht gegeben hätten. Konsequent zu Ende gedacht, hätte der VfGH der Beschwerde der Agrargemeinschaft Recht geben müssen.  Am Ende der Argumentationskette „reißt der VfGH jedoch die Kurve“. Der VfGH wollte offenkundig nur eine Anleitung geben, wie richtig zu entscheiden sei und wie der durch das Mieders-Verkenntnis ausgelöste Gemeindegutsirrsinn überwunden werden könne.
Selbst einschreiten und seine spektakuläre Entscheidung aus dem Jahr 2008, das Mieders-Verkenntnis, als Unsinn entlarven, wollte der VfGH nicht. Das Erkenntnis des Landesagrarsenats Tirol gegen Agrargemeinschaft Unterlangkampfen, mit welchem diese Agrargemeinschaft als  „atypisches Gemeindegut“ festgestellt wurde, wurde deshalb nicht aufgehoben. Diese Aufgabe wollte man dem Verwaltungsgerichtshof zuschieben, der bis zu diesem Zeitpunkt noch kein Erkenntnis zum „Atypischen“ gefasst hatte.

Wie es dazu kommen konnte, ist nicht besonders schwierig nachzuvollziehen: Der Landesagrarsenat Tirol hatte im Fall der Agrargemeinschaft Unterlangkampfen die Entscheidung für ein „atypisches Gemeindegut“ insbesondere folgendermaßen begründet: „Ob im Bescheid der Agrarbehörde I. Instanz vom 17.06.1949 die Grundstücke des Regulierungsgebietes zu Recht als Gemeindegut (ehemaliges Fraktionsgut) qualifiziert wurden, kann grundsätzlich dahingestellt bleiben, weil diese bescheidmäßige Feststellung, dass die Liegenschaften in den Grundbuchseinlagen 54, 55, 56, 57 und 58, alle KG Langkampfen, agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinne des §36 Abs2 litd des Flurverfassungslandesgesetzes vom 06.06.1935 (Gemeindegut bzw. ehemaliges Ortschafts- oder Fraktionsgut) sind, in Rechtskraft erwachsen ist. Die Feststellung von Gemeindegut mit dem agrarbehördlichen Bescheid vom 17.06.1949 auf der Grundlage des §36 Abs2 litd FLG steht überdies im Einklang mit dem aktenkundigen Ermittlungsergebnis. Diese rechtskräftige Feststellung von Gemeindegut kann durch den Verzicht der Gemeinde auf ein Anteilsrecht und den Umstand, dass im Regulierungsplan ein Gemeindeanteil nicht festgesetzt wurde, nicht entkräftet oder rückgängig gemacht werden. … Insoweit mit dem agrarbehördlichen Bescheid vom 17.06.1949 Eigentum am Gemeindegut für die Agrargemeinschaft Unterlangkampfen festgestellt und dieses verbüchert wurde, wurde im Sinne des VfGH-Erkenntnisses vom 11.06.2008, Zl. B464/07, Eigentum an Gemeindegut auf die Agrargemeinschaft übertragen, ohne dass dadurch die Eigenschaft von Gemeindegut untergegangen ist (… ‚konnte die Wirkung nicht die Beseitigung der Eigenschaft als Gemeindegut sein‘ …). Damit ‚ist Gemeindegut entstanden, das nun atypischerweise im gemeinsamen Eigentum der Gemeinde und der Nutzungsberechtigten steht und als Agrargemeinschaft organisiert ist.‘

Bei dieser Argumentation knüpfte der VfGH im Unterlangkampfen-Erk an, um ein stattgebendes Erk zu vermeiden: „2.3.6.2. Vor diesem Hintergrund ist es aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, wenn die belangte Behörde [das ist der Landesagrarsenat Tirol] bei ihrer Entscheidung vom Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 17. Juni 1949, Zl. IIIb-185/3, als dem der Regulierung unmittelbar vorausgehenden, für die Eigentumsverhältnisse allenfalls relevanten Akt ausgeht. …
2.3.6.3. Die belangte Behörde leitet aus dem Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 17. Juni 1949, Zl. IIIb-185/3, ab, dass mit diesem das Eigentumsrecht der politischen Ortsgemeinde festgestellt wurde. Diese Folgerung ist zwar nicht zwingend – der Bescheid könnte durchaus auch dahin ausgelegt werden, dass die bescheiderlassende Behörde auf den in §36 Abs2 litd des Flurverfassungslandesgesetzes vom 6. Juni 1935, LGBl. Nr. 42, angeführten Begriff „Gemeindegut“ im Sinne von „Eigentum der Agrargemeinschaft“ abstellte (vgl. hiezu Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler [Hrsg], Die Agrargemeinschaften in Tirol [2010] 223 [250 f.]) -, sie ist aber auch nicht denkunmöglich. Die Behörde nimmt in diesem Bescheid für die Bestimmung des Begriffs Gemeindegut ausdrücklich auf §36 Abs2 litd des Flurverfassungslandesgesetzes vom 6. Juni 1935, LGBl. Nr. 42, Bezug, dem zufolge zu den agrargemeinschaftlichen Grundstücken, unbeschadet der Rechte aus einer bereits vollendeten Ersitzung, das einer gemeinschaftlichen Benutzung nach den Bestimmungen der Gemeindeordnung unterliegende Gemeindegut, bzw. Ortschafts-, Fraktionsgut zu zählen ist. Vor diesem Hintergrund nimmt die belangte Behörde – zumindest denkmöglich – an, dass der Bescheid vom 17. Juni 1949 das Eigentumsrecht der politischen Ortsgemeinde festgestellt hat. Selbst die beschwerdeführende Agrargemeinschaft räumt ein, dass dieser Bescheid „Ansatzpunkte für einen Substanzvorbehalt zu Gunsten der Ortsgemeinde“ biete, sie meint aber, dass diesem Bescheid durch jenen vom 18. Mai 1966 derogiert worden sei. Unabhängig davon, ob diese Ansicht zutrifft, vermag die beschwerdeführende Agrargemeinschaft mit ihrem Vorbringen keinen der Gesetzlosigkeit gleichzuhaltenden oder sonst in die Verfassungssphäre reichenden Vollzugsfehler der belangten Behörde aufzuzeigen.
2.3.6.4. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts der beschwerdeführenden Agrargemeinschaft auf Unversehrtheit des Eigentums hat daher nicht stattgefunden.“

c) Doppelgesichtigkeit als Ergebnis

Offensichtlich ist, dass der Verfassungsgerichtshof im Unterlangkampfen-Erkenntnis 2010 der Gerechtigkeit zwar einen Weg eröffnen und den Gemeindegutsirrsinn  eindämmen wollte; mit letzter Konsequenz selbst beschreiten wollte der Gerichtshof diesen Weg jedoch nicht. Hier stand dem Gerichtshof das fast noch druckfrische Mieders-Verkenntnis 2008 in die eigene Eitelkeit im Wege.
Das Unterlangkampfen-Erk arbeitet dementsprechend alle Aspekte für eine richtige Entscheidung im Sinn der Agrargemeinschaft Unterlangkampfen heraus (siehe dazu oben, lit aa); gleichzeitig wird die falsche Lösung des Landesagrarsenates Tirol bzw die falsche Lösung des Mieders-Verkenntnisses als „denkmöglich“ stehen gelassen.

Der „Schlüsselsatz“ im Unterlangkampfen-Erk dazu lautet: „2.3.6.3. Die belangte Behörde leitet aus dem Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 17. Juni 1949, Zl. IIIb-185/3, ab, dass mit diesem das Eigentumsrecht der politischen Ortsgemeinde festgestellt wurde. Diese Folgerung ist zwar nicht zwingend – der Bescheid könnte durchaus auch dahin ausgelegt werden, dass die bescheiderlassende Behörde auf den in §36 Abs2 litd des Flurverfassungslandesgesetzes vom 6. Juni 1935, LGBl. Nr. 42, angeführten Begriff „Gemeindegut“ im Sinne von „Eigentum der Agrargemeinschaft“ abstellte (vgl. hiezu Öhlinger, Das Gemeindegut in der Judikatur des VfGH, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler [Hrsg], Die Agrargemeinschaften in Tirol [2010] 223 [250 f.]) -, sie ist aber auch nicht denkunmöglich.“

3. Der Verwaltungsgerichtshof soll´s richten

Das Re­sü­mee aus dem VfGH-Erk zu Agrargemeinschaft Unterlangkampfen ist ein zwiespältiges: Auf der einen Seite stehen die Aussagen des Gerichtshofes,  welche eindeutig auf die Eindämmung des Gemeindegutsirrsinns gerichtet sind; auf der anderen Seite stehen die Aussagen, welche eine Scheinkontinuität mit der Vorjudikatur vorspiegeln. Eine zweite, vollkommen konträre Rechtsauffassung wird als „denkmöglich“ vorgespiegelt und als angeblich gleichwertig neben die offenkundig richtige, neue Rechtsauffassung  gestellt.

Nach dem Unterlangkampfen-Erk des VfGH, Slg 19.262/2010, gilt: Die Feststellung von „Gemeindegut“ muss nicht zwingend als Feststellung von Eigentum einer Ortsgemeinde verstanden werden – nicht zuletzt, weil „Gemeindegut“ im TFLG 1935 ein Eigentum der Agrargemeinschaft war; eine solche Rechtsauffassung der Behörde wäre  aber auch nicht denkunmöglich! Der Begriff „Gemeindegut“ kann somit denkmöglich ein Eigentum der Ortsgemeinde darstellen oder ein Eigentum der Agrargemeinschaft.

Zwei völlig konträre Begriffskonzepte von „Gemeindegut“ wurden damit als denkmöglich vorgestellt. Dem Verwaltungsgerichtshof wurde die Aufgabe zugeschoben, zu entscheiden, welches Begriffsverständnis im konkreten Fall das Richtige sei. Damit hatte es der Verwaltungsgerichtshof in der Hand, den Gemeindegutsirrsinn einzudämmen oder diesem freien Lauf zu geben.

II. Was macht der Verwaltungsgerichtshof?

Der Verwaltungsgerichtshof entschied sich in mehreren Erkenntnissen vom 30.06.2011 gegen jede „Eindämmung“ des Gemeindegutsirrsinnes.   Und der Verwaltungsgerichtshof trieb den Gemeindegutsirrsinn  auf die Spitze!

Das „Nummernspiel“, anhand dessen man angeblich ein „atypisches Gemeindegut“ von einer „schlichten Agrargemeinschaft“ unterscheiden  kann, ist geradezu eine Persiflage auf die gesamte Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zur „agrarischen Restitution der Ortsgemeinden“. Dem Verfassungsgerichtshof wird das Spiegelbild einer irrwitzigen Judikatur vorgehalten, die sich angeblich auf Gerechtigkeitserwägungen und den Gleichheitssatz stützt, dabei jedoch an Zufall und Rechtsirrtum aufsetzt.

1. Ausgangslage

Im Erkenntnis VfSlg 19.262/2010 („Unterlangkampfen-Erkenntnis 2010“) vom 10. Dezember 2010 ist der Verfassungsgerichtshof den Agrargemeinschaften und der Kritik am Mieders-Erk 2008 weitgehend entgegen gekommen. Ein „atypisches Gemeindegut“ aus heutiger Sicht dürfe nicht schematisch unterstellt werden. Vielmehr müssten verschiedene Interpretationsschritte gesetzt werden, anhand derer die wahre Rechtsnatur einer Agrargemeinschaft zu prüfen sei.
a) Es sind die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt vor der Regulierung zu erheben; von Interesse sei – selbstverständlich – nur der letzte (wahre)Eigentumserwerb im Zeitpunkt vor der Regulierung;
b) Auf den Grundbuchstand dürfe man sich nicht verlassen; das Grundbuch könne unrichtig sein; maßgeblich sei der Eigentumstitel;
c) Der von der (historischen) Agrarbehörde geschaffene Grundbuchstand habe die Vermutung der Richtigkeit gem § 431 ABGB für sich;
d) Der Begriff „Gemeindegut“ definiere im historischen Tiroler Recht ein Eigentum der Agrargemeinschaft;
e) Ein Eigentumserwerb der modernen politischen Ortsgemeinde Kraft Gesetzes hat nie stattgefunden;
f) Die unter dem Begriff „Quasi-Erbschaft der Ortsgemeinde“ bekannte These von der Beerbung der Nachbarschaften durch die moderne Ortsgemeinde „ex lege“ ist falsch.

Trotz dieser, den Rechtsstandpunkt der Agrargemeinschaften voll bestätigenden Rechtsaussagen des VfGH im Unterlangkampfen-Erkenntnis vom 10.12.2010 wurde der Beschwerde der Agrargemeinschaft Unterlangkampfen nicht Folge gegeben. Vielmehr wurde die Rechtssache an den Verwaltungsgerichtshof weitergereicht. Der Grund ist ein einfacher: Der VfGH wollte sich nicht zu deutlich vom Mieders-Erkenntnis 2008 distanzieren! Es wurde deshalb im Unterlangkampfen-Erkenntnis folgendes klar gestellt: Das Mieders-Erkenntnis 2008 ist eine denkmögliche Variante der rechtlichen Beurteilung.

Entweder wollte der VfGH dem Verwaltungsgerichtshof tatsächlich die Entscheidung überlassen, ob die Tiroler Agrargemeinschaftsmitglieder nun zu enteignen seien oder nicht, oder der VfGH wollte den Verwaltungsgerichtshof zumindest „vorschieben“: Der Verwaltungsgerichtshof sollte die Abkehr vom Mieders-Erkenntnis 2008 umsetzen; der Verwaltungsgerichtshof sollte die falsche Judikatur zum Gemeindegutsirrsinn eindämmen.

Wenn der VfGH in Konsequenz seines Unterlangkampfen-Erk tatsächlich erwartet hatte, der Verwaltungsgerichtshof würde den durch das Mieders-Erkenntnis 2008 ausgelösten Gemeindegutsirrsinn stoppen, so hatte der VfGH die Rechnung ohne den Verwaltungsgerichtshof gemacht!

2. Der VwGH macht auf „Till Eulenspiegel“

Der Verfassungsgerichtshof hatte den „atypischen Gemeindegutirrsinn“ erfunden (im Mieders-Verkenntnis VfSlg 18.446/2008); insofern ist es konsequent, dass der Verfassungsgerichtshof „als Erfinder“ dem Gemeindegutsirrsinn auch die nötigen Grenzen setzt. Insofern wäre es zu erwarten gewesen, dass der Verwaltungsgerichtshof den Eindämmungsversuch des Verfassungsgerichtshofes im Unterlangkampfen-Erk aufgreift und dem Gemeindegutsirrsinn das erwünschte Ende setzt.

Weit gefehlt!

Ungeachtet einer klaren Vorgabe des Verfassungsgerichts dazu, wie ein „atypisches Gemeindegut“ im Sinn des „Mieders-Erkenntnisses“ VfSlg 18.446/2008 festzustellen sei, ignorierte der Verwaltungsgerichtshof alles, was im Unterlangkampfen-Erk den Agrariern dienlich gewesen wäre. Anhand einer unerträglich formalistischen Rechtsauffassung (= „Nummernspiel“) wurde der Rechtsstandpunkt der beschwerdeführenden Agrargemeinschaften verworfen.

Der Verwaltungsgerichtshof (Zl 2010/07/0091. Pkt 6.3. Obergarten-Erkenntnis): „Dem Spruch des Bescheides ist nun ohne Zweifel zu entnehmen, es handle sich bei den agrargemeinschaftlichen Grundstücken um solche nach § 36 Abs. 2 lit. d TFLG 1952. Der Verwaltungsgerichtshof geht daher – wie auch der Verfassungsgerichtshof in den genannten Erkenntnissen VfSlg 18.446/2008 und 18.933/2009 – davon aus, dass eine der Rechtswirkungen des genannten Regulierungsbescheides die rechtskräftige Qualifizierung dieser Grundstücke als Gemeindegut im Sinne der TGO 1949 darstellte.“

VwGH 2010/07/0092 Pkt 4. am Ende (Obergarten-Erkenntnis): „Im vorliegenden Fall bringen die rechtskräftigen Feststellungen in den Bescheiden vom 9. September 1965 und vom 9. Februar 1976, denen zufolge die agrargemeinschaftlichen Grundstücke solche nach § 36 Abs. 2 lit. d TFLG 1952 bzw. § 32 Abs. 2 lit. c TFLG 1969 seien, die Verwaltungsbehörden und auch den Verwaltungsgerichtshof bindend zum Ausdruck, dass diese Grundstücke Gemeindegut im Sinne des § 73 Abs. 3 TGO 1949 bzw. § 76 Abs. 3 TGO 1966, also Gemeindegut im Eigentum der Gemeinde, waren.“

VwGH 2010/07/0092 Pkt 6. (Obergarten-Erkenntnis): „Angesichts dessen erübrigte sich ein Eingehen auf sämtliche im vorliegenden Fall aufgeworfenen rechtshistorischen Fragestellungen.
Die Rechtskraft der Bescheide vom 9. September 1965 und vom 9. Februar 1976 und der dort getroffenen Feststellung, es liege Gemeindegut vor, wirkt für die Zukunft und bindet auch den Verwaltungsgerichtshof.“

VwGH 2010/07/0092 Pkt 6. (Obergarten-Erkenntnis): „Darauf, ob diese Feststellung zu Recht getroffen wurde, wie sich die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt der Forsteigentumsregulierung oder im Zeitpunkt der Grundbuchsanlegung gestalteten, und wie gegebenenfalls die Rechtsnachfolge zu beurteilen wäre, kam es daher nicht an.“

Der Verwaltungsgerichtshof prüft nur, welchen Paragraphen die Agrarbehörde im Regulierungsverfahren zitiert hat.
Ob das Zitat richtig war oder falsch interessiert nicht.
Es ist einerlei, ob die Ortsgemeinde oder ob die Agrarier Eigentümer waren.

Kurz:  Gutes Nümmerle (§ 36 Abs 1 lit b TFLG): kein atypisches Gemeindegut.  Schlechtes Nümmerle (§ 36 Abs 2 lit d): atypisches Gemeindegut und Substanzrecht der politischen Ortsgemeinde.

Das „Nummernspiel“ war geboren!

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III.  Das Nummernspiel

A. Zur Ausgangslage

1. Die Sachverhaltsgrundlagen VfSlg 18.446/2008

Im Erkenntnis VfSlg 18.446/2008 (Mieders- Erk) hat der Verfassungsgerichtshof einen Restitutionsanspruch der Ortsgemeinden im Zusammenhang mit agrarischen Operationen entwickelt. Dieser Restitutionsanspruch soll rechtswidrige historische Eigentumseingriffe im Zuge von agrarischen Operationen ausgleichen.

Ausgangspunkt bildete ein Sachverhalt, wo der historische Eigentumseingriff zu Lasten der Ortsgemeinde gemäß den Feststellungen im I.-instanzlichen Bescheid vom 9.11.2006 der Tiroler Agrarbehörde unbestritten festgestellt wurde. Unbestritten festgestellt wurde darüber hinaus, dass die historische Agrarbehörde den Eigentumseingriff gar nicht beabsichtigt hätte.

Nach den Feststellungen im I.-instanzlichen Bescheid sollte gerade kein Eigentum übertragen werden, sondern nur „nudum jus“ („nacktes Recht“). Bei Wahrung der Rechtsposition der Ortsgemeinde als Eigentümerin sollten nur die Wald- und Weidenutzungsrechte reguliert werden. Die Organisation der Agrargemeinschaft sei – so die Agrarbehörde I. Instanz im Bescheid vom 9.11.2006 – nur eine organisatorische Hülle für Gemeindeeigentum.

Wörtlich führte die Agrarbehörde I. Instanz aus:
Damit ist aber die rechtliche Qualifikation als Gemeindegut keineswegs untergegangen! Die Zuordnung des Eigentums am Gemeindegut an die Agrargemeinschaft als Regulierungsmaßnahme […] erfolgte ohnehin als ’nudum ius‘, als nacktes Recht, weil der Regulierungsplan für Gemeindegut regelmäßig nur die damals [allein zulässige!] agrargemeinschaftliche Wald- und Weidenutzung festschrieb.“

Mit Blick auf diese Feststellungen erkannte der VfGH im Mieders- Erk VfSlg 18.446/2008, dass durch einen solchen Agrarbehörden-Vorgang „atypisches Gemeindegut“ entstanden sei. Der Substanzwert dieses Guts stünde der Ortsgemeinde zu.

Die betreffende Rechtsposition sei als agrargemeinschaftliches Anteilsrecht der Ortsgemeinde an der Agrargemeinschaft zu verstehen. Dieses agrargemeinschaftliche Anteilsrecht der Ortsgemeinde erweise sich als Fortsetzung des historischen Eigentumsrechts (sozusagen als Ersatz- bzw Surrogateigentum).

Die Rechtsgrundlage für dieses Interpretationsergebnis fand der Verfassungsgerichtshof in den historischen Regulierungsbescheiden, welche verfassungskonform im Sinne des Schutzes der ehemaligen Eigentümerin des Regulierungsgebietes, der heutigen politischen Ortsgemeinde, ausgelegt werden müssten.

2. Argumente gegen VfSlg 18.446/2008

Die Agrargemeinschaften haben gegen diese Rechtsauffassung im Wesentlichen zweierlei eingewandt:

Zum Ersten: Die Ortsgemeinden waren in Wahrheit keine Eigentümerinnen der agrarischen Gemeinschaftsliegenschaften, weshalb kein „Gemeindegut“ im Sinn des heutigen Verständnisses vorgelegen hätte. Dieser Einwand, konnte im Mieders- Erk ausdrücklich nicht behandelt werden, weil ein solcher nicht erhoben wurde und weil deshalb keine Sachverhaltsgrundlage dafür bestanden hatte. (VfSlg 18.446/2008: „Es war in keinem Verfahrensstadium davon die Rede, dass es sich etwa nicht um Gemeindegut [= Eigentum der Ortsgemeinde] gehandelt habe“ […].).

„Gemeindegut“ – so die Argumentation der Agrargemeinschaften – sei in Tirol nur wegen der falschen Eintragung der Ortsgemeinden als „Schein-Eigentümerinnen“ im Zuge der Grundbuchanlegung angenommen worden. Die historischen Grundbucheintragungen seien jedoch rechtsirrig gewesen; die verschiedenen Gemeindebegriffe seien verwechselt worden. Die historische „Gemeinde der Nutzungsberechtigten“, ausdrücklich in VfSlg 9336/1982 anerkannt, sei im Zuge der Grundbuchanlegung mit der heutigen politischen Ortsgemeinde verwechselt worden.

Zum Zweiten: Die Agrargemeinschaften haben weiters gegen die Anwendbarkeit des Mieders-Erk eingewandt, dass die Sachverhaltsannahme der Agrarbehörde I.Instanz im Verfahren gegen Agrargemeinschaft Mieders, wonach die „rechtliche Qualifikation als Gemeindegut“ im Regulierungsverfahren keineswegs „untergegangen“ sei, falsch sei. Dieser Einwand wurde von den Agrargemeinschaften insbesondere damit begründet, dass die Behauptung im Agrarbehördenbescheid I. Instanz, wonach die historische Agrarbehörde über „nacktes Recht“ („nudum jus“) entschieden hätte, jeder Grundlage entbehren würde und schlicht erfunden worden sei.

Im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg 18.446/2008 (Mieders- Erk) wäre auch dieser später erhobene Einwand gegen die Rechtsposition der Ortsgemeinde als „Substanzberechtigte“ bereits im Ansatz ausdrücklich anerkannt worden.
VfSlg 18.446/2008: „Es war in keinem Verfahrensstadium davon die Rede, […] dass [rechtswidrigerweise] beabsichtigt [gewesen] sei, aus dem Gemeindegut eine reine Agrargemeinschaft zu machen [ist doch der Anteil von 10 % der Gemeinde als solcher ausdrücklich eingeräumt worden]; wie dem Verfassungsgerichtshof aus anderen Regulierungsfällen bekannt ist [zB VfSlg. 17.779/200]), wurde die Absicht, an den rechtlichen Verhältnissen [abgesehen von der Regulierung] (Anm: gemeint der „Nutzungsrechte) etwas zu ändern, vielmehr ausdrücklich in Abrede gestellt.“

Die Tiroler Agrargemeinschaften haben bei diesem möglichen Einwand angesetzt und folgendes geltend gemacht:
Die These des VfGH, dass die Agrarbehörde nichts „verändern wollte“, ist durch die falschen Feststellungen des Josef Guggenberger im Mieders-Bescheid motiviert und provoziert. Tatsächlich war es die Pflicht der Agrarbehörde, entsprechend dem Gesetzesauftrag „reformatorisch zu gestalten“, insbesondere im Einvernehmen mit allen Beteiligten Rechtssicherheit zu schaffen, damit auf der Basis geklärter Eigentumsverhältnisse eine ordnungsgemäße Verwaltung und ökonomische Nutzung erfolgen könne. Insbesondere hatte die historische Agrarbehörde die Pflicht und die Absicht, die Eigentumsverhältnisse zu klären (§ 38 Abs 1 TFLG 1935 und alle Nachfolgebestimmungen dazu) .

3. Die Judikatur seit VfSlg 18.446/2008

Nach Überwindung gewisser Unsicherheiten in den Erk VfSlg 18.933/2009 (Obsteig- Erk) und VfSlg 19.018/2010 (Tanzalpe- Erk) hat der Verfassungsgerichtshof im Erk VfSlg 19.262/2010 (Unterlangkampfen- Erk) ein klares Fallprüfungsschema zur Abklärung der Voraussetzungen für den „Restitutionsanspruch der Ortsgemeinde“ (Öhlinger, Pernthaler) entwickelt. Dieses Fallprüfungsschema, ausgebreitet im Erk VfSlg 19.262/2010, berücksichtigt insbesondere die Sachverhaltsvariante von umstrittenen historischen Eigentumsverhältnissen.

Unübersehbar fordert der Verfassungsgerichtshof im „Unterlangkampfen-Erkenntnis“ vom Dezember 2010 zu allererst eine Klärung der wahren Eigentumsverhältnisse („Wenn die Agrargemeinschaft die behördliche Feststellung beantragt, ob bestimmte Grundstücke solche im Sinne des Erk. VfSlg. 18.446/2008 sind, so kommt es in erster Linie auf die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt der Regulierung an, weil die dieses Erkenntnis tragenden verfassungsrechtlichen Erwägungen die Übertragung von Eigentum einer (politischen) Gemeinde auf eine Agrargemeinschaft durch den behördlichen Akt der Regulierung zum Ausgangspunkt haben.“ VfSlg 19.262/2010).

Die Agrarbehörden wurden somit vom Verfassungsgerichtshof in die Pflicht genommen, in jedem konkreten Einzelfall zu prüfen, wer im Zeitpunkt der Regulierung der Agrargemeinschaft der wahre Eigentümer des Regulierungsgebietes war. Ein Agrarbehördenbescheid, in dem diese Frage ungeklärt blieb oder falsch gelöst wurde, wäre vom Verwaltungsgerichtshof wegen Gesetzwidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

4. Der Verwaltungsgerichtshof verweigert

Es wäre zu erwarten gewesen, dass der Verwaltungsgerichtshof sich an das vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg 19.262/2010 (Unterlangkampfen- Erk) entwickelte Fallprüfungsschema halten würde.
In dieser Erwartung hat der VwGH den VfGH offensichtlich enttäuscht.
Enttäuscht wurden nicht nur der VfGH; enttäuscht wurden auch hunderte Agrargemeinschaften in Tirol und möglicher Weise tausende Agrargemeinschaften österreichweit. Die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 30.6.2010 (Leit-Erk Zl 2010/07/0091, Obergarten- Erk) sind bestenfalls eine Persiflage auf das Erk VfSlg 19.262/2010 (Unterlangkampfen- Erk des Verfassungsgerichtshofes).

Losgelöst von den subtilen Überlegungen des VfGH in Slg 19.262/2010 operiert der VwGH mit historischen §§-Zitaten. Ausdrücklich wird behauptet, dass die wahren Eigentumsverhältnisse ohne Relevanz wären!(?)

B. Die „Komposition“ des Verwaltungsgerichtshofes

1. Mia san mia!

Der Verwaltungsgerichtshof hat in 14 Erkenntnissen vom 30.6.2011 (Leit-Erkenntnis Zl 2010/07/0091) beide zentralen Aussagen des Unterlangkampfen-Erkenntnisses VfGH B 639/10 VfSlg 19.262/2010 über Bord geworfen.

a) Die wahren Eigentumsverhältnisse sind irrelevant (?)!

Nicht die historischen Eigentumsverhältnisse seinen zu prüfen, sondern die Frage, ob die historische Agrarbehörde „Gemeindegut“ angenommen habe oder nicht. Ausdrücklich wurde behauptet, dass ohne Relevanz sei, ob die Ortsgemeinde wahrer Eigentümer war oder die nicht regulierte Agrargemeinschaft.

b) „Gemeindegut“ bedeute im historischen Recht Eigentum der Ortsgemeinde (?)!

Sollte die historische Agrarbehörde „Gemeindegut“ angenommen haben, sei unwiderlegbar präjudiziert, dass heute der Ortsgemeinde der „Substanzwert“ zustehe.

„Gemeindegut“ im Sinn der Flurverfassung bedeute nämlich zwingend Eigentum der Ortsgemeinde. Hätte die Agrarbehörde beim Tatbestand „Gemeindegut“ angeknüpft, bedeute dies zwingend, dass ehemaliges Eigentum der Ortsgemeinde und damit aus heutiger Sicht „atypisches Gemeindegut“ gem VfSlg 187.446/2008 vorliege. (Der Rechtsstandpunkt des Verfassungsgerichtshofes im Unterlangkampfen-Erk, wonach „Gemeindegut“ im Tiroler Flurverfassungsrecht ein Eigentum der Agrargemeinschaft bedeutete, wurde ignoriert!

Ob die historische Agrarbehörde allenfalls rechtsirrig „Gemeindegut“ angenommen habe, sei ohne Relevanz; ebenso sei ohne Relevanz, was die historische Agrarbehörde unter dem Begriff „Gemeindegut“ konkret verstanden habe.

Bescheide seien „objektiv“ auszulegen; wenn die Agrarbehörde von einem „Gemeindegut“ ausgegangen sei, könne das nur ein wahres Eigentum der Ortsgemeinde gewesen sein. Der Ortsgemeinde stehe dann der Substanzwert zu.

2. Keine verfassungskonforme Interpretation?

Bei Licht betrachtet können die Erkenntnisse des VwGH vom 30.6.2011 und die Folgeerkenntnisse Zl 2011/07/0041 (Agrargemeinschaft Mutters), Zl 2011/07/0001 (Agrargemeinschaft Gaislachalpe) und Zl 20011/07/0079 (Agrargemeinschaft Mathon) nicht anders als ein bewusstes Ignorieren des Verfassungsgerichtshofes verstanden werden.

Die verfassungskonforme Interpretation im Sinn des Erk VfSlg 18.446/2008 wird geradezu unmöglich gemacht; die klaren Vorgaben im Unterlangkampfen-Erkenntnis VfSlg 19.262/2010 werden ignoriert.

a) Verfassungskonforme Interpretation: kein Thema

Mit seinem Rechtsstandpunkt, dass die wahren Eigentumsverhältnisse nicht interessieren würden, schlägt der Verwaltungsgerichtshof dem Verfassungsgerichtshof in´s Gesicht. Vor dem Hintergrund der klaren Vorgabe, dass Bescheide generell verfassungskonform auszulegen seien, ist die Auslegung des VwGH grotesk:
Wer deklariert, dass die historischen Eigentumsverhältnisse ohne Relevanz seien, setzt sich in unüberbrückbaren Gegensatz mit einer Auffassung, welche verlangt, dass verfassungskonform im Sinn des ehemaligen wahren Eigentümers auszulegen sei.
Die Auslegung des VwGH ist deshalb denkunmöglich.

b) Vorgaben VfSlg 19.262/2010: kein Thema

Nachdem der Verfassungsgerichtshof im Unterlangkampgfen-Erkenntnis VfSlg 19.262/2010 klar gestellt hatte, dass die historischen Eigentumsverhältnisse geprüft werden müssen, ist es grotesk, wenn der Verwaltungsgerichtshof sechs Monate später dagegen hält, dass die historischen Eigentumsverhältnisse irrelevant wären.

Eine solche Auslegung ist denkunmöglich. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich mit dieser Rechtsauffassung über alle obersten Prinzipien einer verfassungskonformen Interpretation hinweggesetzt.

c) Wille des Gesetzgebers: kein Thema

Oberhofer/Pernthaler haben anhand der umfangreichen Gesetzesmaterialien zur Entstehungsgeschichte des Teilungs- Regulierungs- Reichsgesetzes aus dem Jahr 1883 (TRRG 1883) nachgewiesen, dass schon der Reichsrahmengesetzgeber des Jahres 1883 mit dem Begriff „Gemeindegut“ Liegenschaften in Gemeindeverwaltung verstanden hat, die gerade kein Gemeindeeigentum waren.

Oberhofer/Pernthaler haben darüber hinaus nachgewiesen, dass der Begriff „Gemeindegut“ wesentlich älter ist als das politische Gemeinderecht und dass dieser Begriff seine inhaltliche Prägung im Zivilrecht erfahren hatte. Dies hat sich ua bereits in umfangreichen Regelungen im Codex Theresianus zum Thema „gemeinschaftlich genutztes Vermögen“ niedergeschlagen. „Gemeindegut“ ist danach Eigentum der „sittlichen Person“, welche nach Privatrecht konstituiert wurde; „Gemeindegut“ ist Privatvermögen.

Kühne/Oberhofer haben schließlich nachgewiesen, dass der Versuch, Gemeindegut in agrargemeinschaftlicher Nutzung anhand des politischen Gemeinderechts als Eigentum der Ortsgemeinden zu definieren, schon am positiven Gemeinderecht scheitern muss.
Das politische Gemeinderecht hat nämlich die ausschließliche Kompetenz des Flurverfassungsrechts zur Regelung der reformatorischen Gestaltung des Gemeindeguts in agrargemeinschaftlicher Nutzung nachvollzogen.

Der Nachweis Pernthalers schließlich, dass eine Gleichschaltung des Gemeindegutsbegriffs im Sinn der Gemeindeordnungen einerseits und der Flurverfassung andererseits nicht zuletzt an kompetenzrechtlichen Vorgaben der Bundes-Verfassung (Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG) scheitern muss, rundet das Bild ab.
Mangels Kompetenz des Gemeindegesetzgebers kann das Gemeinderecht die Ergebnisse der agrarischen Operation gerade nicht präjudizieren.

Damit erweist sich auch der für die Argumentationslinie des Verwaltungsgerichtshofs grundlegende Rechtsgedanke, dass das Gemeindegut im politischen Gemeinderecht zwingend als Eigentum der Ortsgemeinde definiert sei, als verfehlt.

d) Zur Methode der „objektiven Auslegung“

Was schließlich vom Verwaltungsgerichtshof unter der Etikette eines Gebotes zur „objektiven Auslegung“ historischer Bescheide in die Diskussion eingebracht wurde, ist „Rabulistik“ übelster Prägung. Eine objektive Auslegung historischer Bescheide hätte nämlich beim jeweiligen historischen Gesetzesverständnis anzuknüpfen.

Die Vorgabe für das Verständnis der historischen Bescheide könnte deshalb nur das jeweils geltende historische Gesetzesrecht sein. Die Begriffe in den historischen Bescheiden sind deshalb so zu verstehen, wie diese im historischen Gesetz zu verstehen waren.

Wie der Verfassungsgerichtshof im Unterlangkampfen-Erk VfSlg 19.262/2010 – und auch schon im Erkenntnis VfSlg 9336/1982 – klar gestellt hatte, hat der Gesetzgeber den Begriff „Gemeindegut“ seit jeher in dem Sinn verstanden, dass unter diesem Begriff „Eigentum einer Agrargemeinschaft“ subsumiert wurde. Dies galt auch und gerade für das Tiroler Landes-Flurverfassungsrecht.

Der VwGH interpretierte demgegenüber die historischen Bescheide im Sinn des heutigen Verständnisses. Der Begriff „Gemeindegut“ in den historischen Regulierungsbescheiden sei als ein Eigentum der Ortsgemeinde zu verstehen; dies unwiderlegbar. Die geänderten gesetzlichen Grundlagen wurden somit ignoriert.

Eine solche Bescheidauslegung ist schlicht F A L S C H. Das im Zeitpunkt der Entstehung des jeweiligen Bescheides geltende Recht und das zu diesem Zeitpunkt geltende Rechtsverständnis muss die Grundlage für das heutige Bescheidverständnis bilden!

C. Schlussfolgerung

Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach ein willkürliches §§-Zitat („Gemeindegut“) die verfassungskonforme Interpretation präjudiziere, ist zu verwerfen.

Inhaltlich kann nur von einer Persiflage auf die gesamte Judikaturlinie VfSlg 18.446/2008 bis VfSlg 19.262/2010 gesprochen werden.

Das zentrale Argument der gesamten Judikatur-Linie des Verfassungsgerichtshofes, wonach Agrarbehördenbescheide verfassungskonform im Sinn des jeweiligen wahren historischen Eigentümers interpretiert werden müssten, wurde der Lächerlichkeit preisgegeben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in der Manier eines Till Eulenspiegel die unsinnigsten Rechtssätze des Verfassungsgerichtshofs kombiniert und eine völlig neue juristische Sichtweise konstruiert.

Diese ist vor allem durch eine ökonomische Entscheidungsfindung konzentriert: Nicht die wahren Eigentumsverhältnisse sind maßgeblich für oder gegen „Restitution der Ortsgemeinde“; maßgeblich sei die historische Meinung der Agrarbehörde.

War die Agrarbehörde von „Gemeindegut“ ausgegangen, soll heute ein „Substanzrecht“ der Ortsgemeinde existieren, das „atypische Gemeindegut“. Die Tatsache, dass die Agrarbehörde unter „Gemeindegut“ ein Eigentum der Agrargemeinschaft unter Gemeindebeteiligung verstanden hatte (so klipp und klar der Verfassungsgerichtshof im „Unterlangkampfen-Erkenntnis“) wird dadurch  konterkariert!

 IV. Zusammenfassung

Der Verwaltungsgerichtshof entschied sich in mehreren Erkenntnissen vom 30.06.2011 gegen jede „Eindämmung“ des Gemeindegutsirrsinnes.   Und der Verwaltungsgerichtshof trieb den Gemeindegutsirrsinn  auf die Spitze! Nicht das wahre Eigentum soll relevant sein; relevant soll ein zufälliges Paragraphenzitat sein – das „Nummernspiel“.

Das „Nummernspiel“, anhand dessen man angeblich ein „atypisches Gemeindegut“ von einer „schlichten Agrargemeinschaft“ unterscheiden  kann, ist geradezu eine Persiflage auf die gesamte Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zur „agrarischen Restitution der Ortsgemeinden“. Dem Verfassungsgerichtshof wird das Spiegelbild einer irrwitzigen Judikatur vorgehalten, die sich angeblich auf Gerechtigkeitserwägungen und den Gleichheitssatz stützt. Das Zerrbild der Eulenspieglerei entpuppt hingegen Zufall und Rechtsirrtum als entscheidend.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in der Manier eines Till Eulenspiegel die unsinnigsten Rechtssätze des Verfassungsgerichtshofs aus der Judikatur zum „Atypischen“ kombiniert und eine neue juristische Sichtweise konstruiert: Für die Anwendung des Gemeindegutsirrsinnes relevant ist ein zufälliges Paragraphenzitat, das in den historischen Behördenbescheiden auftaucht.

Das zentrale Bemühen der gesamten Judikatur-Linie des Verfassungsgerichtshofes, wonach Agrarbehördenbescheide verfassungskonform im Sinn des jeweiligen wahren historischen Eigentümers interpretiert werden müssten, wurde vom Verwaltungsgerichtshof der Lächerlichkeit preisgegeben.

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MP