Karl Peyrer, nach Erhebung in den Adelstand: Karl Peyrer von Heimstätt (* Putzleinsdorf, OÖ, 11. 1. 1819; † Wien, 11. 4. 1883), war Jurist und wissenschaftlicher Autor, zuletzt Ministerialrat im Ackerbauministerium und Leiter des Departments für Wasser-, Forst- und Jagdstreitigkeiten.  Karl Peyrer ist der Vater des Österreichischen Agrarrechts. Nach Absolvierung der juridisch-politischen Studien in Wien (1838–1842) und nach dem Rechtspraktikum beim Stadt- und Landrecht in Linz, begann er 1843 bei verschiedenen oberösterreichischen Patrimonialgerichten die richterliche Laufbahn, die er nach Auflösung der Patrimonialgerichtsbarkeit 1850 im Staatsdienst fortsetzte. 1857 wechselte er zur Lokalkommission für Grundlastenablöse (Kirchdorf a.d. Krems und Spital a. Pyhrn); 1861 wurde er in das Innenministerium in das Grundentlastungsdepartment berufen. 1868 kam er als Ministerialsekretär an das neuerrichtete Ackerbauministerium, 1870: Beförderung zum Sektionsrat; 1875: Beförderung zum Ministerialrat. Von 1876 bis 1882 war Karl Peyrer Leiter des Departments für Wasser-, Forst- und Jagdstreitigkeiten; 1882 trat er krankheitshalber in den Ruhestand. Im Jahr 1883, jenem Jahr, in dem der Österreichische Reichsrat die drei agrarischen Reichsgesetze verabschiedete, wurde Karl von Peyrer in den Adelstand erhoben. Karl Peyrer von Heimstätt hat gleich mehrere juristische Grundlagenarbeiten verfasst: 1869: Die Arrondierung des Grundbesitzes und die Anlegung gemeinschaftlicher Feldwege; 1873: Die Zusammenlegung der Grundstücke, die Regelung der Gemeingründe und die Ablösung der Forstservituten in Österr. und Deutschland; 1874: Fischereibetrieb und Fischereirecht in Österreich; 1880: Das österr. Wasserrecht, 3. Aufl. 1898; 1884: Denkschrift betreffend die Erbfolge in landwirtschaftlichen Gütern und das Erbgüterrecht nebst einem hierauf bezüglichen Gesetzentwurf und andere mehr.

Karl Peyrer, nach Erhebung in den Adelstand: Karl Peyrer von Heimstätt (* Putzleinsdorf, OÖ, 11. 1. 1819; † Wien, 11. 4. 1883), war Jurist und wissenschaftlicher Autor, zuletzt Ministerialrat im Ackerbauministerium und Leiter des Departments für Wasser-, Forst- und Jagdstreitigkeiten. Karl Peyrer ist der Vater des Österreichischen Agrarrechts. Nach Absolvierung der juridisch-politischen Studien in Wien (1838–1842) und nach dem Rechtspraktikum beim Stadt- und Landrecht in Linz, begann er 1843 bei verschiedenen oberösterreichischen Patrimonialgerichten die richterliche Laufbahn, die er nach Auflösung der Patrimonialgerichtsbarkeit 1850 im Staatsdienst fortsetzte. 1857 wechselte er zur Lokalkommission für Grundlastenablöse (Kirchdorf a.d. Krems und Spital a. Pyhrn); 1861 wurde er in das Innenministerium in das Grundentlastungsdepartment berufen. 1868 kam er als Ministerialsekretär an das neuerrichtete Ackerbauministerium, 1870: Beförderung zum Sektionsrat; 1875: Beförderung zum Ministerialrat. Von 1876 bis 1882 war Karl Peyrer Leiter des Departments für Wasser-, Forst- und Jagdstreitigkeiten; 1882 trat er krankheitshalber in den Ruhestand. Im Jahr 1883, jenem Jahr, in dem der Österreichische Reichsrat die drei agrarischen Reichsgesetze verabschiedete, wurde Karl von Peyrer in den Adelstand erhoben. Karl Peyrer von Heimstätt hat gleich mehrere juristische Grundlagenarbeiten verfasst: 1869: Die Arrondierung des Grundbesitzes und die Anlegung gemeinschaftlicher Feldwege; 1873: Die Zusammenlegung der Grundstücke, die Regelung der Gemeingründe und die Ablösung der Forstservituten in Österr. und Deutschland; 1874: Fischereibetrieb und Fischereirecht in Österreich; 1880: Das österr. Wasserrecht, 3. Aufl. 1898; 1884: Denkschrift betreffend die Erbfolge in landwirtschaftlichen Gütern und das Erbgüterrecht nebst einem hierauf bezüglichen Gesetzentwurf und andere mehr.

 

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Bekanntlich wird das Mieders-Verkenntnis des Verfassungsgerichtshofes von 2008, VfSlg 18.446/2008, in allen Österreichischen Bundesländer kräftig ignoriert. Nur Tirol ist anders. Das Mieders-Verkenntnis, das Österreichweit kräftig ignoriert wird, ist in Tirol „Eisern Gesetz“! In Tirol wird dieses Verkenntnisses mit Vehemenz und Härte umgesetzt –  entsprechend der Vorgabe des Landeshauptmannes Günther Platter „auf Punkt und Beistrich“.

Den Grund dafür, dass Tirol hier einen anderen Weg gegangen ist als alle anderen Bundesländer, wird man primär in den Vorgaben der Landespolitik zu suchen haben. Wenn es in Vorarlberg möglich war, den „Gemeindegutirrsinn“ zu stoppen, so wäre es natürlich auch für Tirol  möglich gewesen, einen solchen Weg zu beschreiten. Aber in Tirol wollten die Landespolitiker – allen voran Landeshauptmann Günter Platter – die vollständige Enteignung aller Agrarier. Und diese Vorgabe hat die Agrarbehörde nach Kräften erfüllt.

Geradezu massenhaft wurden rechtskräftige, historische Bescheide der Agrarbehörde von Amtswegen oder auf Antrag von Ortsgemeinden als angeblich „offenkundig verfassungswidrig“ behördlich ignoriert und durch neue Bescheide ersetzt, mit denen die Substanz des agrargemeinschaftlichen Vermögens (das ist das Eigentumsrecht!) den  Ortsgemeinden zugesprochen wurde.

Die rechtskräftigen Anteilsrechte der Agrargemeinschaftsmitglieder wurden stillschweigend enteignet;  anstelle der bisherigen Mitglieder „regiert“ alleine die Ortsgemeinde. Der Ortsgemeinde soll das Eigentumsrecht zustehen; die bisher aliquot Anteilsberechtigten Mitgliede besitzen nur mehr ein, auf einen nachzuweisenden Bedarf eingeschränktes Nutzungsrecht. Wen wundert es, dass allerorten in Tirol der Eindruck entsteht, dass Bescheide der Agrarbehörde wertlose Papierfetzen wären, die jeder politischen Willkür zu weichen hätten.

Dem ist freilich nicht so. Nur die richterliche Willkür im Mieders-Verkenntnis lässt diesen Eindruck entstehen. Nur richterliche Willkür im Mieders-Verkenntnis 2008 konnte eine angebliche Pflicht der Agrarbehörde erfinden, rechtskräftige Bescheide zu ignoriere und den Ortsgemeinden das Eigentum („Substanzrecht“) zuzuschanzen.

Tatsächlich sind rechtskräftige Bescheide der Agrarbehörde nicht weniger verbindlich und unabänderlich wie andere, staatliche Rechtsakte, die in Rechtskraft erwachsen. Die Art und Weise, wie im Mieders-Verkenntnis 2008 damit umgegangen wird, ist übelste Rabulistik und dem Rechtsstaat zutiefst abträglich!

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Gesetzlicher Richter über Gemeindegut

 

ÜBERSICHT:
MYSTERIUM AGRARBEHÖRDENBESCHEID?
ANFÄNGE DER AGRARISCHEN OPERATION
GRUNDLAGENARBEIT DURCH KARL PEYRER
„FELDSTUDIE“ IN NIEDERÖSTERREICH
DER STREIT UM „GEMEINDEGUT“
EIGENTUMSFRAGE UND GEMEINDEGUT
ZUSAMMENFASSUNG

 

Abstract:
Die Bescheide der Agrarbehörde erscheinen im Licht des Tiroler Agrarstreits als „Papiere ohne Wert“. Jahrzehnte alte Erkenntnisse, mit denen rechtskräftig über die Eigentumsverhältnisse am agrargemeinschaftlichen Gut entschieden wurde, werden auf den Kopf gestellt. Der Einwand einer rechtskräftigen Entscheidung scheint keine Geltung zu haben. Dem ist jedoch in Wahrheit nicht so. Ausdrücklich bestimmen die einschlägigen Gesetze, dass Bescheide und protokollierte Vergleiche der Agrarbehörde exakt dieselbe Wirkung entfalten wie gerichtliche Urteile und vom Gericht protokollierte Vergleiche: Sie unterliegen der Rechtskraftwirkung und sie sind vollstreckbar. (§ 14 Agrarbehördengesetz)

MYSTERIUM AGRARBEHÖRDENBESCHEID?

Bereits im Jahr 1883 als die Agrargesetzgebung mit den so genannten „drei agrarischen Reichs-Grundsatzgesetze“ ihren Ausgang nahm, hat der Gesetzgeber die „Commassionsbehörden“ (= heute „Agrarbehörden“) als Alternative zu den Zivilgerichten geschaffen. Diese Behörden sollten eine ausschließliche Zuständigkeit besitzen für besondere Verfahren, die zur reformatorischen Umgestaltung historisch gewachsener Strukturen an land- und forstwirtschaftlich genutzten Liegenschaften geschaffen wurden. Alle Erkenntnisse und Bescheide, die in diesen Verfahren gefällt wurden, haben die Wirkung von gerichtlichen Urteilen. Die neuen Verfahren zur reformatorischen Gestaltung und Entscheidung der Rechtsverhältnisse an den historisch gewachsenen, oft unwirtschaftlichen agrarischen Eigentumsstrukturen waren: Das „Commassionsverfahren“ (= heute „Zusammenlegungsverfahren“), das zum Ziel hatte, die durch historische Teilungen entstandene Zersplitterung im landwirtschaftlichen Eigentum zu beseitigen; das Verfahren zur Beseitigung der Enklaven im Waldland, welches bereinigte Forststrukturen schaffen sollte, und die Teilungs- und Regulierungsverfahren, welche schlecht bewirtschaftete Gemeinschaftsgüter in intensiv genutztes Einzeleigentum aufteilen (Teilungsverfahren) oder geordnete Verwaltungs- und Nutzungsstrukturen schaffen sollten (Regulierungsverfahren). Diese Verfahren werden gemeinschaftlich als „agrarische Operationen“ bezeichnet.

Alle Erkenntnisse der Commassionsbehörden und alle vor dieser Behörde geschlossenen Vergleiche wurden mit denselben Rechtswirkungen ausgestattet wie Zivilurteile (§ 12 TRRG 1883 ua). Der Reichgesetzgeber hatte zu diesem Zeitpunkt bereits positive Erfahrungen mit den „Landescommissionen“, die zum Vollzug des Servituten- Regulierungs- und Ablösungspatentes aus dem Jahr 1853 eingerichtet wurden. Auch deren Erkenntnisse und die vor diesen Kommissionen geschlossenen Vergleiche hatten ausdrücklich die Rechtswirkung zivilgerichtlicher Urteile. Auf Antrag einer Partei waren diese vom allgemeinen Zivilgericht zu vollstrecken (§ 38 Servituten-Regulierungs-Patent 1853). Eine Beseitigung der Rechtskraftwirkung solcher Erkenntnisse, Bescheide und Vergleiche mit der Behauptung, die Behörde hätte falsch (wegen Eigentumsverletzung „verfassungswidrig“) entschieden, ist gesetzlich genau so wenig vorgesehen wie im Gerichtsverfahren generell. Gerade im Gerichtsverfahren gibt es bekanntlich gar oft einen Verlierer, der glaubt, das Gericht hätte durch ein „Falschurteil“ in sein Eigentum eingegriffen! Bis heute haben solche Behauptungen niemanden interessiert.

ANFÄNGE DER AGRARISCHEN OPERATION

Karl Peyrer hatte mit seiner Grundlagenarbeit aus dem Jahr 1877 „Die Regelung der Grundeigentums-Verhältnisse. Nebst einem Gesetzesentwurf über die Zusammenlegung der Grundstücke, die Ablösung und Regulierung der gemeinschaftlichen Nutzungsrechte und die Ablösung von nach dem Patente vom 5. Juli 1853 regulierten Nutzungsrechten samt Durchführungsverordnung, Formularien und Motivenberichten (Wien 1877) 43ff mit ausführlicher Erörterung der Ursachen hierfür“, die Basis dafür geschaffen, dass der Österreichische Gesetzgeber sind einen Phänomen widmete, das Jahrhunderte alt und als reale Erscheinung existent, trotzdem nur ganz konfuse rechtliche Ausgestaltung erfahren hatte: die „Gemeindegründe“.

Leopold Pfaff, Universitätsprofessor in Wien, brachte im Jahr 1884 die Rechtslage zu diesen Liegenschaften auf den Punkt: „Die Unklarheit, ob Gemeindeeigentum und Gemeindlast, ob Gemeinschaft des Eigentums oder Gesellschaftsverhältnis zu Grunde liegend, welche rechtliche Stellung den Verwaltern dieses Vermögens zukomme usw. ist kaum zu lichten, die anzuwenden Rechtssätze bilden daher ein Hauptobjekt des Streits, und nur allzu oft sprechen in der Brust des Juristen, der den Fall unbefangen prüft, zwei Seelen – für und gegen den Kläger! Für wahr ein arger Mangel der bestehenden Gesetzgebung!“ (Pfaff, JBl 1884, 186).

GRUNDLAGENARBEIT DURCH KARL PEYRER

Karl Peyrer, der als Ministerialrat im k.k. Ackerbauministerium seine wissenschaftlichen Ambitionen auf die Ergebnisse seiner Inspektionsreisen in die verschiedensten Regionen in den zahlreichen Österreichischen Ländern stützen konnte, hatte die Rechtsproblematik um diese Liegenschaften klar erkannt: Es bestand eine extreme Rechtsunsicherheit betreffend Eigentum und Nutzungsrecht, mit ausufernden wirtschaftlichen Folgen. Peyrer: „So vollzieht sich in allen österreichischen Ländern, von der Wissenschaft und im Leben kaum beachtet, einer der merkwürdigsten sozialen Prozesse, durch welchen fast das gesamte Grundeigentum eine Umgestaltung erleidet. Von zwei Seiten angegriffen, verschwindet nach und nach das alte, früher allein herrschende, noch vor einem Jahrhundert weitaus überwiegende Gemeingut, das Gesamteigentum, um auf der einen Seite durch vollständige Aufteilung unter die einzelnen Gemeindeglieder dem Privateigentum, auf der anderen Seite dem Gemeindevermögen Platz zu machen.“ (Karl Peyrer, Die Regelung der Grundeigentums-Verhältnisse, 51)

Einen wesentlichen Grund für diesen Erosionsprozess erblickte Peyrer in einer „kaum glaublichen Sorglosigkeit und einer völligen Unklarheit und Verwirrung in den Bezeichnungen wie in den Begriffen, wenn es sich darum handelt, die Eigentumsverhältnisse bei gemeinschaftlich benutzten Grundstücken anzugeben, selbe in statistische Nachweisungen, in den Steuerkataster, in Gemeinde-Inventare, ja selbst in Erkenntnisse der Behörden, in die Grundbücher einzutragen, Verfügungen darüber vom Standpunkte des Verwaltungsrechtes zu treffen, Teilungsverhandlungen einzuleiten oder zu genehmigen, die Verwaltung zu regeln oder andere öffentliche Akte darüber vorzunehmen.“(Peyrer, aaO, 46)

Sorglosigkeit und mangelndes dogmatisches Differenzierungsvermögen waren angesichts der sozio-ökonomischen Bedingungen allerdings leicht nachzuvollziehen, wie Albert Mair 1958 betonte: „Der Verschmelzungsprozess ging teilweise umso leichter vonstatten, als sich gerade in den extremen Bergbauerngebieten Ende des vorigen Jahrhunderts ein Unterschied zwischen der Realgemeinde und der politischen Gemeinde überhaupt nicht bemerkbar machte und sich der Kreis der Gemeindebewohner mit dem Kreis der Nutzungsberechtigten im Wesentlichen deckte. Den Bauern war daher ein Unterschied zwischen politischer und Wirtschaftsgemeinde unbekannt.“ (Albert Mair, Probleme der Regulierung des Gemeindegutes, in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler (Hg): Die Agrargemeinschaften in Tirol (2010) 22 f )

„FELDSTUDIE“ IN NIEDERÖSTERREICH

Die Unkenntnis betreffend die Rechtsverhältnisse an den „Gemeindegründen“ reichte auch in Juristenkreise, wie Pfaff 1884 konstatierte: „Mancher Österreichischer Civilist dem die Landpraxis fremd ist, mag nicht wenig erstaunt gewesen sein, aus den Niederösterreichischen Landtagsacten zu erfahren, ‚dass die Besitz und Nutzungsverhältnisse des Gemeindeeigentums in zahlreichen Gemeinden ganz unglaublich verworren und unklar sind‘, daß die uralten Genossenschaften (‚Nachbarschaften‘) noch immer existieren, seit geraumer Zeit aber mit der Gemeinde identifiziert werden, dass die Nachbarn, wenn es sich um Gemeindelasten handelt, darauf hinweisen, es seien alle Steuerzahler der Gemeinde die Gemeinde, bei der Benutzung des ‚Gemeindevermögens‘ aber wohl geltend zu machen wissen: ‚Die Gemeinde sind wir, die Nachbarn.’“ (Leopold Pfaff, JBl 1884, 185)

Pfaff nahm hier Bezug auf einen Bericht des Niederösterreichischen Landesausschusses an den Landtag, worin 1878 das Ergebnis mehrjähriger Ermittlungen festgehalten wurde: „Die alte Organisation der Nachbarschaft ist zertrümmert. Zu einer Zeit entstanden, da Privatrecht und öffentliches Recht noch nicht so begrifflich geschieden waren wie heute, verlor sie im modernen Staate den öffentlichen Character, ohne daß man daran dachte, ihre genossenschaftliche Organisation in Bezug auf ihre Privatrechte zu erhalten, da keine der römisch-rechtlichen Formen schlechtweg darauf anwendbar war. […] Wenn man aber die Geschichte vergaß – die noch lebende Thatsache konnte man nicht ignorieren.
Thatsächlich waren die Besitzer gewisser Häuser im Genusse oder im beschränkten oder unbeschränkten Mitgenusse gewisser Grundstücke. Man versuchte zuweilen diesen factischen Genuß aus dem Begriffe der Dienstbarkeit zu erklären, das ist aber nicht nur historisch grundfalsch, sondern auch den thatsächlichen Zuständen nicht entsprechend. Da man nun kein Schubfach fand, in welches man diese Rechtsverhältnisse stecken konnte, so ließ man sie einfach als weiter nicht definierbare Nutzungsrechte gelten. Ein Recht aber, durch welches ein scheinbar zweifelloses, auf Privat- und öffentliche Urkunden gegründetes Eigenthum beschränkt wird, ein Recht, dessen Ursprung in Vergessenheit gerathen, dessen Titel unfindbar, dessen juristische Qualität undefinirbar, dessen Grenzen unsicher sind, ein solches Recht musste den Verdacht der Usurpation erwecken, es mußte der rationalistischen Rechtsschule verdächtig und unbequem sein, den nicht berechtigten Gemeindemitgliedern als ein gehässiges Vorrecht erscheinen; das gute alte Recht der Nachbarn erschien als ein Raub an der Gemeinde, ihr Eigenthum wurde als Diebstahl betrachtet, ein solcher Zustand mußte zum Kampfe herausfordern, und der Kampf begann auch wirklich.“ (Bericht des NÖ Landesausschusses betreffend die Regelung der Besitz- und Nutzungsverhältnisse des Gemeindeeigenthums (Nr XXVII der Beilagen der Sten Prot des Niederösterreichischen Landtages V. Wahlperiode 1878; Referent Dr. Josef Kopp)

DER STREIT UM „GEMEINDEGUT“

Karl Peyrer hatte 1877 festgestellt, dass in Zeiten, in denen die politische Gemeinde vom Staat und seinen Organen begünstigt würde, oft schon der bloße Name genüge, um das Vermögen der Nutzungsgenossenschaft ganz der politischen Gemeinde zuzuweisen. In diesem Zusammenhang zitierte er Francis Bacon: Der Mensch glaube, mit seinem Verstande den Worten zu gebieten, obwohl öfters die Worte seinen Verstand unterwerfen. Damit ist das Problem zeitlos auf den Punkt gebracht: Wenn und solange der Erkenntnis emotionale Barrieren entgegenstehen, wird die von Leopold Pfaff beklagte „Unklarheit, ob Gemeindeeigenthum und Gemeindlast, ob Gemeinschaft des Eigenthums oder Gesellschaftsverhältnis“, die Rechtswissenschaft noch länger begleiten und eine Lösung des Problems erschweren!

Schon 1849 hatte Julius Weiske festgestellt, man wäre „häufig den geschichtlich wohlbegründet gedachten Rechten einer besonderen Klasse der Mitglieder oder einer sog. Altgemeinde in der politischen Gemeinde nicht günstig gestimmt, und dies großenteils deshalb, weil die Kenntnis der geschichtlichen Entwicklung fehlte, und man von der einmal vorgefassten Meinung sowohl unter den Behörden und Gelehrten, als auch von Seiten der Gemeindeglieder ausging: Was den Namen Gemeindegut oder einen gleich viel sagenden führe, müsse auch der ganzen politischen Gemeinde zugehören und von ihr entweder zum Vorteil der Gemeindekasse oder nach gleicher Verteilung unter allen Mitgliedern benutzt werden. Man bezeichnete die Berechtigten geradezu als die Gemeindearistokratie, glaubte, dass sie unrechtes Gut an sich gerissen oder das was allen gebühre, sich ausschließlich vorbehalten haben.“ Dieser Befund, der geradezu als Beschreibung der heutigen Situation in Westösterreich erscheint, lenkt den Blick zunächst auf das historische Nachbarschaftseigentum der „Altgemeinde“, sodann auf die politische Ortsgemeinde. (Julius Weiske, Über Gemeindegüter und deren Benutzung durch die Mitglieder nach den Bestimmungen der neuen Gemeindegesetze, insbesondere in Württemberg, Hessen und Baden, nebst beurteilender Darstellung des neuen österreichischen Gemeindegesetzes, Leipzig 1849, 14)

1883: DAS NEUE FLURVERFASSUNGSRECHT

Dem historischen Gesetzgeber war insbesondere daran gelegen, dass die Zivilgerichte jede Entscheidungskompetenz für die Gemeinschaftsliegenschaften verlieren. In verschiedenen Kronländern hatte man nämlich leidvolle Erfahrungen gemacht mit den Rechtsstreitigkeiten, die in den neuen Ortsgemeinden um die Gemeinschaftsliegenschaften, genannt „Gemeindegut“. Anstelle des unfruchtbaren Gerichtsstreits sollte eine reformatorische Neugestaltung im allseitigen Einvernehmen treten. Josef Kühne, langjähriger Leiter der Vorarlberger Agrarbehörde, hat die Aufgabe der Agrarbehörde trefflich mit einem englischen Rechtssprichwort charakterisiert: „don’t litigate, don’t arbitrate, find a settlement“. Schon der historische Reichsgesetzgeber, im Ministerium und in den Reihen der Abgeordneten, hatte eine solche Vorgehensweise der neuen Behörden vor Augen. Wie sehr die historischen Rechtsstreitigkeiten in gewissen Kronländern die gesetzlichen Regelungen beeinflusst haben, zeigen die Äußerungen der Reichsratsabgeordneten im Zuge der Debatte am 22. Februar 1883 im Österreichischen Reichsrat.

Von Dr. Johann Žák, der als Vorsitzender des zuständigen Ausschusses im Reichsrat, Abgeordneter im Böhmischen Landtag und Mitglied im Böhmischen Landesausschuss, mit der Materie besonders vertraut war, überliefern die stenographischen Protokolle der Sitzung am 22. Februar 1883 folgende Äußerungen: „… ich muss konstatieren, dass die Streitigkeiten zwischen den Klassen in den Gemeinden, oder, wenn Sie wollen, zwischen der Gemeinde als solcher einerseits und zwischen den gewissen Singularisten auf der anderen Seite, auf der Tagesordnung sind. […] Ich selbst habe einen Fall beim böhmischen Landesausschuss anhängig, der sich schon fünf bis sechs Jahre hinzieht und der böhmische Landesausschuss ist nicht in der Lage – ich kann ihm dies nicht verdenken – die Sache zu entscheiden, denn dieselbe ist so verworren und so schwierig, dass der Landesausschuss immer und immer wieder Erhebungen und Einvernehmungen von Gedenkmännern verfügt […] Und wenn der Landesausschuss endlich einmal die Entscheidung gefällt haben wird, dann geht derjenige Teil, der mit der Entscheidung nicht zufrieden ist an den Verwaltungsgerichtshof und wenn er auch hier sachfällig wird, dann betritt er den gerichtlichen Rechtsweg. Gestatten Sie mir, dass ich als praktischer Mann mich in diesen Fragen absolut gegen die Judikatur der Gerichte ausspreche. Einerseits ist die Bestimmung des 16. Hauptstückes des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches eine derartige, dass sie auf diese Verhältnisse überhaupt nicht passt. Der Zivilrichter hat aber eine andere Bestimmung nicht. Auch sind die Bestimmungen unserer Zivilprozessordnung derart, dass es in der Tat sehr schwer fällt, dieselben auch auf solche Fälle anzuwenden und schließlich: Um was handelt es sich denn in den meisten gerichtlich anhängig gemachten Prozessen?
Derjenige Teil, der mit der Klage auftritt, behauptet gewöhnlich, er habe das Eigentum der so genannten Gemeindegründe ersessen. Zu diesem Behufe findet er fast immer die Gedenkmänner, durch welche bewiesen wird, dass die Altangesessenen das so genannte Gemeindegut von Alters her wirklich besessen, genutzt, verwaltet und daraus die Nutzungen gezogen haben und die Gerichte müssen selbstverständlich der Klage stattgeben. Das Gemeindegut wird sofort dem Einzelnen als ihr Privateigentum zuerkannt, die Gemeinde zahlt die Gerichtskosten und verliert ihr Vermögen. […] Kurz vor Eröffnung dieses Sessionsabschnittes habe ich als Kurator einer Gemeinde […] derartigen gerichtlichen Einvernahmen beigewohnt und was ist dabei konstatiert worden? Alle Gedenkmänner haben gesagt, die Besitzer von Nr. 1 bis Nr. 10 haben diese Gemeindegründe […] besessen, benutzt, verwaltet und sich den Nutzen zugeeignet, die anderen in der Gemeinde lebenden Insassen haben darauf keinen Anspruch. […] Das Schicksal des Prozesses ist bereits im Vorhinein entschieden“. (Stenographisches Protokoll. Haus der Abgeordneten des österreichischen Reichsrates, IX. Session 268. Sitzung am 22. Februar 1883, Seite 9225)

Der Abgeordnete Dr. Josef Kopp, gleichzeitig Abgeordneter im Niederösterreichischen Landtag und Mitglied des Niederösterreichischen Landesausschuss, äußerte sich zur selben Sache wie folgt: „Es ist nicht möglich, dass die Gerichte eine verständliche, den Verhältnissen entsprechende Entscheidung treffen. Diese Möglichkeit muss vor allem anderen entfernt werden, und das […] kann die Landesgesetzgebung nicht tun. Darum ist ein Reichsgesetz notwendig […]“. „Aber eines kann das Land nicht, […] das Land kann niemals hindern, dass die Gerichte angerufen werden und dass die Regulierungen, welche die autonomen Behörden und auch der Landesausschuss treffen, durchkreuzt und eludiert werden, durch ein richterliches Urteil, und das ist das Schlimmste, weil die Gerichte gar nicht in der Lage sind, diese Verhältnisse in ihrem eigentlichen Wesen zu begreifen, weil diese eigentümlichen Besitz- und Nutzungsverhältnisse ihren Ursprung haben in einem alten Volksrechte, in einem germanischen oder slavischen Volksrechte, welches durch das hineingeschneite römische Recht und die demselben nachgebildeten Gesetze mit Ignorierung der alten Volksanschauungen in Verwirrung gebracht worden sind.“ (aaO Seite 9234) „Den selbst wenn man mit Zuhilfenahme der vollständig ungenügenden Bestimmungen der Gemeindeordnungen und der einschlägigen Gesetze sich im Landesausschusse bemüht eine halbwegs erträgliche und befriedigende Ordnung herzustellen, so tritt uns eines immer störend entgegen, dass nämlich die Ingerenz der Gerichte in keiner Wiese ausgeschlossen ist, so dass derjenige, welcher mit dem Zustande nicht zufrieden ist, sich an die Gerichte wendet, die dann lediglich nach den Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuches über gemeinsames Eigentum und nach dem hier sehr ominösen Bestimmungen über die Verjährung und Ersitzung entscheiden, ohne im Entferntesten bei dem besten Willen nur die realen Verhältnisse verstehen und berücksichtigen zu können, und ohne insbesondere die wirtschaftlichen Rücksichten irgendwie walten lassen zu dürfen. So kreuzen sich denn in den Gemeinden ältere Verordnungen und Entscheidungen der Landesbehörden, neuere Beschlüsse der Gemeinden, faktische Zustände, Entscheidungen des Landesausschusses und verschiedene gerichtliche Entscheidungen, kurz es wird ein Chaos geschaffen. Diesem Chaos soll hier ein Ende gemacht werden, und darum begrüßen wir in einem Falle, wo staatsrechtliche, politische, nationale, provinziale Eifersüchteleien oder Streitigkeiten gar nicht am Platze sind, dieses Gesetz als eine wahre Erlösung.“ (aaO, Seite 9222f)

EIGENTUMSFRAGE UND GEMEINDEGUT

Der historische Gesetzgeber hat somit ganz bewusst die Agrarbehörden (damals „Commassionsbehörden“) zuständig gemacht und diese Behörden sollten anstelle der Gerichte und mit der Wirkung und Autorität der Gerichte, entscheiden! Dies insbesondere und gerade auch über die Eigentumsverhältnisse am agrargemeinschaftlichen Gut, das in den Organen der neuen politischen Ortsgemeinden als „(Schein-)Gemeindegut“ verwaltet wurde.

Dies lässt sich anhand diverser Belegstellen leicht nachweisen. Beispielsweise kann auf die Rede des Regierungsvertreters, Anton Freiherr von Rinaldini, am 22. Februar 1883, Sten. Prot. des Abgeordnetenhauses des Österreichischen Reichsrates, IX. Session, Seite 9221, verwiesen werden: „Der Grund, warum überhaupt dieses Gesetz […] auch das Gemeindegut einbezogen hat, ist einfach der, weil nach den Erfahrungen […] diese vagen Bestimmungen der Gemeindeordnung […] nicht hinreichend sind. Schon die einfache Vorfrage, ob ein solches Grundstück ein Grundstück der Gemeinden oder ein Grundstück einer Klasse von Gemeindeangehörigen sein wird, ist ja eine ungemein schwierig zu lösende Frage“. Dr. Johann Žák, der Ausschussvorsitzende, stimmte vollumfänglich zu: „Was die Ausführungen des Herrn Regierungsvertreters betrifft, so stimme ich ihm vollkommen bei. Namentlich bin ich seiner Ansicht, wenn er sagt, es sei eigentlich die Vorfrage, was für ein Vermögen es sei, um das es sich im gegebenen Fall handelt, die schwierigste. Diese Vorfrage wird von den Landesausschüssen und Gerichten verschieden beurteilt und entschieden, ja man kann sagen, es gibt so viele Ansichten, als Entscheidungen.“ (Sten. Prot. ebendort, 9226)

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ZUSAMMENFASSUNG

Der Agrarbehörde – und gerade nicht den Gerichten – wurde die Aufgabe zugewiesen, darüber zu entscheiden, wessen Eigentum ein agrargemeinschaftlich genutztes Grundstück ist.

Die Agrarbehörde entscheidet im Fall von agrargemeinschaftlichen Grundstücken anstelle des Gerichts und mit der Wirkung eines Gerichtsurteils.

Zusätzlich entscheidet die Agrarbehörde anstelle des Gerichts und mit Wirkung eines Gerichtsurteils, wer in welchem Umfang an einem solchen Grundstück anteilberechtigt ist.

Diese Kompetenz der Agrarbehörde, anstelle des Gerichts und mit Wirkung eines Gerichtsurteils über agrargemeinschaftliche Grundstücke zu entscheiden, war zentrales Anliegen der agrarischen Gesetzgebung – seit ihren Anfängen im Jahr 1883.

Diese Kompetenz der Agrarbehörde galt insbesondere und gerade für alle Liegenschaften, die das  „Gemeindegut“ bildeten.

Wenn im Mieders-Verkenntnis der Eindruck erweckt wird, die Agrarbehörden wäre nicht zuständig gewesen, über Gemeindegut zu entscheiden oder die Agrarbehörden hätten  über Gemeindegut falsch entschieden, so ist diese Behauptung offenkundig gesetzwidrig. Dies in vielfacher Hinsicht! (Im Einzelnen siehe dazu: rightbar: Rabulistik gegen Agrar / Willkür im Mieders-Erkenntnis)

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MP