„Ergänzung der Gemeindeordnung“ als (historische)
agrarische Operation

Das TRRG 1883 wollte der Ausführungsgesetzgebung einen rechtlichen Gestaltungsrahmen eröffnen, der wegen der zivilrechtlichen Implikationen der agrarischen Operationen für notwendig erachtet wurde. Für den Fall des agrargemeinschaftlich genutzten Gemeindegutes wurde davon nicht vollständig Gebrauch gemacht.

Mit Ausnahme von Kärnten (§ 8 Abs 2 Knt-TRLG 1885, wonach eine Regulierung der Benützungsrechte ausnahmslos mit der Regelung der Verwaltung verbunden werden müsse) enthielten nämlich sämtliche TRLGs der Jahre 1883 bis 1921 auffällige Einschränkungen der agrarbehördlichen Entscheidungsbefugnis: Im Fall der Regulierung von agrargemeinschaftlich genutztem Gemeindegut sollte die Regulierung der Verwaltungsrechte nur insofern stattfinden, als die Verwaltung der Gemeinschaftsliegenschaft nicht schon durch die Gemeindeordnung oder andere, das Gemeindegut betreffende Vorschriften geregelt war, oder insofern innerhalb der letzterwähnten Regelungen noch besondere Vorkehrungen zur angemessenen Verwaltung notwendig erkannt wurden.
§ 12 Abs 2 des Mähr-TRLG 1884; § 7 Abs 2 NÖ-TRLG 1886; § 7 Abs 2 Krain-TRLG 1887, § 12 Abs 2 Schles-TRLG 1888; § 12 Abs 2 Slbg-TRLG 1892; §§ 3 Abs 2 St-TRLG 1909 = 3 Abs 2 T-TRLG 1909 = 3 Abs 2 OÖ-TRLG 1909; § 3 Abs 2 Vlbg-TRLG 1921. S zB §§ 3 Abs 2 St-TRLG 1909 = 3 Abs 2 T-TRLG 1909 = 3 Abs 2 OÖ-TRLG 1909: „Die Regulierung der Verwaltungsrechte bezüglich gemeinschaftlicher Grundstücke findet nach diesem Gesetz nur insofern statt, als die Verwaltung solcher Grundstücke nicht schon durch die Gemeindeordnung oder andere, das Gemeindegut betreffende Vorschriften geregelt ist oder insofern innerhalb der letzterwähnten Regelung noch besondere Vorkehrungen zur angemessenen Verwaltung von als Gemeindegut benützten Grundstücken notwendig erkannt werden.“

Die Landesgesetze der Jahre 1884 bis 1921 – mit Ausnahme desjenigen Kärntens – hatten die Regulierung der Verwaltungsrechte und damit die körperschaftliche Einrichtung der Agrargemeinschaft im Fall von agrargemeinschaftlich genutztem Gemeindegut nicht zugelassen. Die Verwaltung der Gemeinschaftsliegenschaften betreffend waren vielmehr lediglich nötige Ergänzungen der Gemeindeordnung zu verordnen. Anstatt Agrargemeinschaften an agrargemeinschaftlich genutztem Gemeindegut körperschaftlich einzurichten und über die Eigentumsverhältnisse daran zu entscheiden, hatten die Behörden der Bodenreform eine zu unterstellende Verordnungsermächtigung genutzt und die Gemeindeordnung für den konkreten Fall ergänzt.

KEINE REGULIERUNG VON GEMEINDEGUT

Die Ausnahme für Kärnten begründet sich daraus, dass dort das Phänomen des agrargemeinschaftlich genutzten Gemeindeguts nicht existierte; dazu: Wolfram Haller, Die Entwicklung der Agrargemeinschaften Osttirols, 1947, unveröffentlichtes Manuskript, Österr. Nationalbibliothek, Sign 753717-C, 16. Bei den Kärntner Wäldern waren historisch nur Staatswaldungen und Privatwaldungen, sei es zu Einzelrecht oder Nachbarschaftsrecht unterschieden worden; dazu Carl Peyrer, Die Regelung der Grundeigentums-Verhältnisse, 46 f.

Auf der Grundlage des § 3 Abs 2 Tiroler TRLG 1909 wurden beispielsweise mit Generalakt vom 15. September 1928 der Agrarbezirksbehörde Innsbruck Zl 228/50 für den „Schwendauer–Wald“ „Normen der Verwaltung“ erlassen, welche als derartige „Ergänzung der Regelungen der Gemeindeordnung“ verstanden werden müssen (Generalakt vom 15. September 1928 der Agrarbezirksbehörde Innsbruck Zl 228/50 für den „Schwendauer – Wald“, Seite 10 und 11).

Es wurde ein „Fraktionsausschuss von Schwendau“, eingerichtet, der den „Schwendauer-Wald“ nach den Bestimmungen der Gemeinde-Ordnung 1866 zum Gemeindegut zu verwalten hatte.
In den 13 Absätzen umfassenden „Normen für die Verwaltung“ wurde (nach dem Wortlaut des Behördenaktes) in Ergänzung der Gemeinde-Ordnung ua angeordnet, dass der „Fraktionsausschuss“ (der Ortsgemeinde Schwendau) als „durchführende Organe“ einen Obmann, einen Obmann-Stellvertreter und einen Kassier aus dem Kreis der „Teilgenossen“ zu wählen hat; es wurde ein Geschäftsführungs- (und Vertretungsbereich) dieser Organe definiert, die Aufsicht durch den Fraktionsausschuss geregelt und ein Beschwerderecht gegen dessen Entscheidung an die Agrarbehörde vorgesehen. In Ermangelung der körperschaftlichen Einrichtung der Agrargemeinschaft bestand keine Grundlage, über die Eigentumsverhältnisse an den agrargemeinschaftlichen Liegenschaften zu entscheiden.

Insoweit die Verwaltung agrargemeinschaftlicher Liegenschaften deshalb bereits „durch die Gemeindeordnung oder andere, das Gemeindegut betreffende Vorschriften geregelt“ war, sollte es im zeitlichen Geltungsbereich der TRLGs 1884 bis 1921 dabei bleiben; die Verwaltung der agrargemeinschaftlich genutzten Liegenschaft wurde durch eine generelle Norm, welche die Gemeindeordnung für die spezielle Ortsgemeinde ergänzte, geregelt. Für diesen speziellen Bereich der Gemeindeverwaltung war die Agrarbehörde Aufsichtsbehörde über den Selbstverwaltungskörper Ortsgemeinde.

Sowohl die Motive als auch die praktischen Auswirkungen dieser gesetzlichen Regelung, für welche sich in den Ausführungsgesetzen zum FlVerfGG 1932 kein Gegenstück mehr findet, wären allemal einer eigenständigen Untersuchung wert. Im Ergebnis wurden mit diesen Gesetzesbestimmungen in den TRLGs 1884 bis 1921 die faktisch bestehenden Verhältnisse legitimiert, wenn privates Gemeinschaftsvermögen in den Organen der neuen politischen Ortsgemeinden verwaltet wurde. Bei einer Interpretation von Behördenakten aus dem zeitlichen Geltungsbereich der TRLGs ist dieser Rechtszustand jedenfalls zu beachten.

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aus:

Kühne/Oberhofer
Gemeindegut und Anteilsrecht der Ortsgemeinde.

in: Kohl/Oberhofer/Pernthaler/Raber (Hg)
Die Agrargemeinschaften in Westösterreich (2011) 237ff

 

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MP