Blick auf Niederthai, Umhausen, und seine Gemeinschaftswälder

Blick auf Niederthai, Umhausen, und seine Gemeinschaftswälder

Niederthai ist eine Ortschaft der Gemeinde Umhausen im Bezirk Imst. Niederthai liegt auf rund 1540 m Seehöhe am Horlachbach oberhalb des Stuibenfalls. Zur Ortschaft gehören neben „Niederthai Dorf“ die Weiler Bichl, Lehen und Überfeld sowie die Rotten Ennebach, Höfle, Sennhof und Tölderboden. Das Tal des Horlachbaches verläuft in Niederthai von Osten nach Westen. Der Horlachbach trennt den Wald in eine Sonnseite und eine Schattseite; letztere wird im Ötztal „Neaderseite“ genannt. Die Niederthaier haben es sich einfach gemacht: Den Wald auf dem südseitigen Hang nennen sie seit jeher den „Neaderwald“; denjenigen am Nordhang „Sonnseite“. In den Wäldern auf beiden Seiten des Tales wurden Anfang des 19. Jahrhunderts sogenannte Waldteilungen durchgeführt. Ein landesfürstlicher Waldmeister hat mit seinen Gehilfen gleichwertige Waldstücke ausgewiesen, die dann den einzelnen Nachbarn zugelost wurden. Deshalb werden diese Waldteile heute noch „Lusse“ genannt.

Ob ursprünglich alle Hofstellen von Niederthai sowohl im Neaderwald als auch sonnseitig beteiligt waren, könnte anhand dieser Waldteilungsprotokolle nachvollzogen werden. Auf den Zeitpunkt der Regulierung der beiden Gemeinschaftswälder als Agrargemeinschaften Anfang der 1980er Jahre wurden jedenfalls unterschiedliche Beteiligungsverhältnisse festgestellt: Für den „Neaderwald“ hat die Agrarbehörde im Februar 1982 35 mitberechtigte Liegenschaftsbesitzer festgestellt. Diese wurden als „Agrargemeinschaft Neaderseite-Niederthai“ organisiert. Für den „Sonnseitenwald“ wurden knapp ein Monat später, im März desselben Jahres, 30 Mitberechtigte festgestellt. Diese wurden als „Agrargemeinschaft Sonnseite-Sennhof“ reguliert. Mehr als die Hälfte der Mitglieder von Agrargemeinschaft Sonnseite-Sennhof wurden gleichzeitig als Mitglieder der Agrargemeinschaft Neaderseite festgestellt.

GLEICHES MUSS …

Die Grundbuchanlegung in der Katastralgemeinde Umhausen datiert in den wesentlichen Teilen vom August 1909. Die Gemeinschaftsliegenschaften auf der „Neaderseite“ wurden unter der Eigentümerbezeichnung „Fraktion Niederthay Neaderseite“ erfasst; diejenigen auf der Sonnenseite unter der Eigentümerbezeichnung „Fraktion Niederthay Sonnseite“. Bei beiden Liegenschaftskomplexen hatte die Grundbuchanlegung den identen Eigentumstitel angezogen und im sogenannten Hauptbuch der Grundbuches Folgendes vermerkt: „Aufgrund der Forsteigentums-Purifikations-Tabelle vom 14. Juli, verfacht 12. September 1848, wird das Eigentumsrecht für die Fraktion Niederthay Neaderseite (Fraktion Niederthay Sonnseite) einverleibt.“ Im Zuge des agrarbehördlichen Regulierungsverfahrens, abgeschlossen im Februar 1982 (Agrargemeinschaft Neaderseite) sowie März 1982 (Agrargemeinschaft Sonnseite), hat die Agrarbehörde einheitlich für beide Regulierungsfälle entschieden, dass die jeweiligen Liegenschaften Eigentum der Agrargemeinschaften seien. Der Ortsgemeinde Umhausen wurde in beiden Fällen kein Anteilsrecht an den Agrargemeinschaften zuerkannt.

Aufgrund einer (scheinbar) identen Ausgangslage würde man sich erwarten, dass beide Liegenschaften im Blick auf die Suche nach „atypischem Gemeindegut“ im Tiroler Agrarstreit einheitlich beurteilt würden. Beide Waldstücke scheinen dieselbe Eigentumsgeschichte zu haben und die Personengruppe, die diese Waldstücke „seit Menschengedenken“ genutzt hat, überschneidet sich gut zur Hälfte. Der offenkundige Unterschied, dass der eine Wald auf der Schattseite des Tales gelegen ist und der andere auf der Sonnseite, kann rechtlich nicht ins Gewicht fallen. Der Landesagrarsenat hat dies anders gesehen. Ident beurteilt wurden nur die aufgeteilten Waldstücke, die sogenannten „Teilwälder“, unterschiedlich dagegen die ungeteilten Waldstücke. Im Fall von Agrargemeinschaft Neaderseite soll diesbezüglich Gemeinschaftseigentum vorliegen, im Fall von Agrargemeinschaft Sonnseite hingegen „atypisches Gemeindegut“.

… GLEICH BEHANDELT WERDEN 

Warum dies so sei, begründete der Landesagrarsenat folgendermaßen: Mit agrarbehördlichem Bescheid vom 23. Februar 1982 sei in Ansehung genau bezeichneter Grundstücke der Liegenschaft in EZ 987 Grundbuch Umhausen (Agrargemeinschaft Neaderseite) die Eigenschaft als agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinn des § 33 Abs. 1 lit. b (Gemeinschaftsgut) und Abs. 2 lit. d (Teilwälder) TFLG 1978 festgestellt worden. Das festgestellte Gemeinschaftsgut sei jedoch kein ehemaliges Eigentum einer Ortsgemeinde oder politischen Ortsfraktion. Anders dagegen die Grundstücke der Agrargemeinschaft Sonnseite in EZ 711 Grundbuch Umhausen: Diesbezüglich hätte die Agrarbehörde mit Bescheid vom 26. März 1982 entschieden, dass es sich um Grundstücke im Sinn des § 33 Abs. 2 lit. c (Gemeindegut) und § 33 Abs. 2 lit. d (Teilwälder) TFLG 1978 handle. Die jeweilige historische Entscheidung der Agrarbehörde – der Landesagrarsenat spricht von einer „Qualifizierung“ der Liegenschaften – sei heute maßgeblich für die Beurteilung der Frage, ob sogenanntes „atypisches Gemeindegut“ vorliege oder nicht. Wegen dieser „Qualifizierung“ durch die Agrarbehörde im seinerzeitigen Regulierungsverfahren sei im Fall von Agrargemeinschaft Sonnseite eine verfassungswidrige Eigentumsübertragung anzunehmen. Dies mit der Konsequenz, dass die beteiligten Hofbesitzer nur mehr ihren aktuellen Naturalbedarf decken dürfen, während alle anderen Erträge aus den ungeteilten Liegenschaften dem Staat zufallen.

Der Tiroler Landesgesetzgeber hat sich die Überprüfung der Regulierungsfälle der Vergangenheit vermutlich anders vorgestellt. „Atypisches Gemeindegut“ entsteht bekanntlich als Folge einer rechtswidrigen Wegnahme von Gemeindeeigentum. Die entscheidende Frage, ob die Agrarbehörde in der Vergangenheit eine Ortsgemeinde rechtswidrig um ihr Gut gebracht hat oder ob durch die Agrarbehörde das Grundbuch richtig gestellt wurde, kann nur anhand der Eigentumsgeschichte der betreffenden Liegenschaft geklärt werden. Diese Eigentumsgeschichte der einzelnen Liegenschaften wäre zu überprüfen gewesen. Wer glaubt, er würde in den seinerzeitigen Erkenntnissen der Agrarbehörde den entscheidenden Hinweis finden, ob die Behörde seinerzeit richtig oder falsch entschieden hat, geht in die Irre.